Zur audiovisuellen Dokumentation im Strafverfahren: BGH zur Grenze des Beweisverwertungsverbots

Mit Beschluss vom 12. März 2025 (Az. 4 StR 329/24) hat der eine vielschichtige Entscheidung zur Bedeutung audiovisueller Dokumentation bei Beschuldigtenvernehmungen im Lichte des § 136 Abs. 4 gefällt. Zwar drehte sich das Verfahren in der Hauptsache um eine äußerst schwere Tat – versuchter mit Waffengewalt – doch rückte im Revisionsverfahren eine Verfahrensfrage in den Mittelpunkt: Unter welchen Umständen führt die fehlende Videoaufzeichnung der polizeilichen Vernehmung zu einem ?

Die Antwort des BGH fällt differenziert aus und vermeidet eine dogmatische Überhöhung formaler Anforderungen. Der Senat hält an der Linie fest, wonach ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nur dann zur Unverwertbarkeit führt, wenn die Maßnahme entweder bewusst unterlassen oder objektiv willkürlich durchgeführt wurde. Diese Rechtsprechung hat erhebliche Relevanz für die Praxis – denn sie verdeutlicht, dass nicht jede Missachtung einer formellen Vorschrift automatisch zur Korrektur des Verfahrens durch die Revisionsgerichte führt.

Der Fall und seine verfahrensrechtliche Bedeutung

Im Zentrum des Verfahrens stand ein äußerst brutaler Angriff, bei dem der Angeklagte auf einen Nebenkläger geschossen und ihn schwer verletzt hatte. Neben versuchtem Mord war auch der Besitz von Kriegswaffen angeklagt. Während der Ermittlungen wurde der Angeklagte – nach eigenem Bekunden unter dem Einfluss von Drogen und Medikamenten stehend – im Krankenhaus vernommen. Diese Vernehmung erfolgte durch Kräfte, die nicht ursprünglich mit dem Fall betraut waren, und wurde nicht audiovisuell dokumentiert, obwohl § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO dies für bestimmte Deliktskategorien vorschreibt.

Der Verteidigung zufolge sei dieser Umstand ein gravierender Mangel, der ein Verwertungsverbot der Angaben des Beschuldigten zur Folge haben müsse. Das Landgericht Essen hatte dem nicht entsprochen, und auch der BGH sieht in dem Unterlassen der Videoaufzeichnung keinen rechtsstaatlich relevanten Verstoß.

Die rechtliche Bewertung durch den BGH

Der vierte Strafsenat bleibt in seiner dogmatischen Linie zurückhaltend. Zwar erkennt das Gericht den formellen Pflichtcharakter der audiovisuellen Dokumentation an, doch betont es zugleich deren Einordnung als Ordnungsvorschrift. Nur wenn sich ein bewusster Rechtsbruch oder ein objektiv willkürliches Verhalten der Ermittlungsbehörden feststellen lasse, könne von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden.

Im konkreten Fall sei jedoch keine vorsätzliche Umgehung der Dokumentationspflicht erkennbar. Die Ermittler hatten das Krankenhaus bereits verlassen, als der Angeklagte seine Aussagebereitschaft signalisierte. Die nachträglich mit der Vernehmung betrauten Beamten hätten unter Zeitdruck und ohne Zugriff auf eine entsprechende technische Infrastruktur gehandelt. Auch der Umstand, dass der Angeklagte zuvor wechselhafte Angaben zu seiner Bereitschaft gemacht und mit bestimmten Bedingungen – etwa einem Ortswechsel zur Tatstätte – verknüpft hatte, spreche gegen ein strukturell rechtsstaatswidriges Verhalten. Vor diesem Hintergrund erscheine das Unterlassen der Videoaufzeichnung nachvollziehbar, wenn auch nicht ideal.

Relevanz und Einordnung

Die Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Praxis der Ermittlungsbehörden. Sie bringt zum Ausdruck, dass das Strafprozessrecht zwar zunehmend mit formellen Transparenzpflichten operiert, dabei aber nicht jeden Verstoß pauschal mit einer Sanktion belegt. Die Abwägung zwischen Verfahrenssicherheit und Ermittlungsrealität bleibt zentral. Der BGH erlaubt damit auch eine gewisse Flexibilität im Umgang mit situativen Besonderheiten – etwa bei kurzfristigen Änderungen im Verhalten des Beschuldigten oder fehlender technischer Ausstattung.

Zugleich wird aber auch deutlich: Der Gesetzgeber hat die audiovisuelle Dokumentation nicht grundlos eingeführt. Ihre Missachtung kann – bei entsprechender Verfahrenslage – gravierende Folgen haben. Die Entscheidung ist somit ein Lehrstück dafür, dass rechtsstaatliche Kontrolle und pragmatische Anwendung einander nicht ausschließen müssen.

Fazit

Die Essenz dieses Beschlusses besteht in einem klaren Bekenntnis zur Abwägung: Nicht jeder Formverstoß wiegt gleich. Der Bundesgerichtshof differenziert zwischen bloßer Abweichung und struktureller Missachtung gesetzlicher Verfahrensanforderungen. Für Ermittlungsbehörden ergibt sich daraus keine pauschale Entwarnung, wohl aber eine Richtschnur: Wer nachvollziehbar, transparent und nicht willkürlich handelt, kann auch unter Abweichung von Idealstandards rechtlich bestehen. Die Entscheidung ist daher ein wichtiger Beitrag zur Ausbalancierung von Rechtsschutzinteresse und Ermittlungsnotwendigkeit im modernen Strafverfahren.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity) (Alle anzeigen)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.