Das Hessische Landesarbeitsgericht (14 Sa 306/20) hat über die Klage eines Fahrradkuriers eines Lieferdienstes entschieden. Der Auslieferer, der Bestellungen von Essen und Getränken bei Restaurants abholt und zu den Kunden bringt, hat gefordert, dass ihm für seine Tätigkeit ein Fahrrad und ein Smartphone zur Verfügung gestellt wird.
Er sei nicht verpflichtet, sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Smartphone einschließlich des erforderlichen Datenvolumens für die Internetnutzung zu verwenden, wenn er arbeite. Der Kläger hatte mit seiner Klage Erfolg, ebenso ein Kollege, der vom Lieferdienst nur verlangte, ihm für die Auslieferungen ein Smartphone zu stellen.
Dazu schon vorher bei uns: Crowdworker als Arbeitnehmer
Sachverhalt
Beide Fahrradlieferanten sind Arbeitnehmer des Lieferdienstes. In ihren Arbeitsverträgen ist bestimmt, dass sie während der Einsätze Ausstattung („Equipment“) des Lieferdienstes benutzen, wofür ein Pfand von 100 Euro einbehalten wird, wie in einem separaten Vertrag geregelt. Zu diesem Equipment gehören weder das Fahrrad noch ein Smartphone. Ein Smartphone ist notwendig, weil die App des Lieferdienstes verwendet werden muss. Die Fahrer sind nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet, nur auf Fahrrädern in verkehrstauglichem Zustand zu fahren. Außerdem können sie – was nicht im Arbeitsvertrag geregelt wurde – je gearbeiteter Stunde ein Guthaben von 0,25 Euro für Fahrradreparaturen bei einem Vertragspartner ihres Arbeitgebers abrufen.
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Entscheidung des LAG
Das LAG hat den Fahrradlieferanten im Berufungsverfahren Recht gegeben. Die Klagen waren von dem Arbeitsgericht (ArbG) Frankfurt am Main in erster Instanz abgewiesen worden.
Betriebsmittel durch Arbeitgeber
Die für die Erbringung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel hat mit dem Bundesarbeitsgericht der Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen:
Gem. § 611a BGB schuldet der Arbeitnehmer ausschließlich die vereinbarte Arbeitsleistung, nicht aber die Stellung der hierfür erforderlichen Arbeitsmittel. § 615 S. 3 BGB liegt die Wertung zugrunde, dass der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt, also das Risiko, dass die Arbeitsleistung aus in der betrieblichen Sphäre liegenden Gründen nicht erbracht werden kann. Zudem liegt § 618 BGB die Prämisse zugrunde, dass der Dienstberechtigte die Vorrichtungen und Gerätschaften zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat.
Kein wirksamer Ausschluss
Grundsätzlich kann man die Frage der Betriebsmittel auch anders regeln: Die gesetzliche Regelung, wonach der Arbeitgeber die notwendigen Betriebsmittel zu stellen hat, kann zwischen den Parteien eines Arbeitsvertrages wirksam abbedungen werden. Eine von §§ 611a, 615 S. 1, 618 BGB abweichende vertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien dergestalt, dass der Arbeitnehmer die Betriebsmittel einzubringen hat, ist mit der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig. Hier aber ist das für das LAG nicht wirksam erfolgt.
Die Arbeitsverträge der Fahrradlieferanten seien als allgemeine Geschäftsbedingungen zu überprüfen. Die Regelung, dass Fahrrad und Smartphone ohne finanziellen Ausgleich selbst mitgebracht werden müssten, benachteilige nach der konkreten Vertragsgestaltung die Lieferfahrer unangemessen. Betriebsmittel und deren Kosten seien nach der gesetzlichen Wertung vom Arbeitgeber zu stellen. Er trage auch das Risiko, wenn diese nicht einsatzfähig seien. Die „0.25 Euro Kompensation“ verfängt dabei ohnehin nicht:
Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert die – wohl auf einer entsprechenden Gesamtzusage beruhende – Möglichkeit der Arbeitnehmer, pro gearbeiteter Stunde 0,25 € für Fahrradreparaturen bei einem Vertragspartner der Beklagten abrufen zu können, an der Unwirksamkeit der Klausel, soweit sie sich auf die Verpflichtung zur Stellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads bezieht, nichts. Es ist bereits fragwürdig, ob eine außerhalb des zu beurteilenden Vertragswerks durch Gesamtzusage geschaffene Regelung überhaupt als Kompensation in die vorzunehmende Interessenabwägung einzubeziehen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Gesamtzusagen durch Betriebsvereinbarungen abgelöst werden können (…), also nicht die gleiche Verbindlichkeit bieten, wie eine im Arbeitsvertrag vorgesehene Kompensation.
Ein vom Arbeitnehmer abrufbarer Betrag für Fahrradreparaturen im Umfang von 0,25 € pro gearbeiteter Stunde bei einem von der Beklagten festgelegten Unternehmen stellt aber ohnehin keine ausreichende Kompensation für die betriebliche Nutzung des eigenen Fahrrads dar. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob die erforderlich werdenden Reparaturen von diesem Betrag bestritten werden können, ist eine Kompensation von Anschaffungspreis und Wertverlust hierin jedenfalls nicht enthalten.
Damit müsse der Lieferdienst Fahrrad bzw. Smartphone zur Verfügung stellen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen worden. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts).
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