Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 11. November 2024 (Az. 7 SLa 306/24) eine Entscheidung getroffen, die die Anforderungen an den Schutz von Whistleblowern vor Kündigungen konkretisiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die Kündigung eines Compliance-Managers während der Probezeit gegen das Verbot von Repressalien nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verstößt.
Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitnehmer das Vorliegen einer rechtmäßigen Meldung sowie eine darauf folgende Benachteiligung substantiiert darlegen und gegebenenfalls beweisen muss. In diesem Fall scheiterte der Kläger, weil er seine Vorwürfe nicht hinreichend konkretisierte und die Voraussetzungen für den Schutz durch das HinSchG nicht erfüllt waren. Diese Entscheidung setzt Maßstäbe für den Schutz von Hinweisgebern und die Anforderungen an die Darlegungslast bei Kündigungen, die vermeintlich als Repressalie ausgesprochen wurden.
Sachverhalt
Der Kläger war als Leiter Recht und Compliance bei einem Unternehmen beschäftigt und entdeckte im Rahmen seiner Tätigkeit mögliche Rechtsverstöße, darunter Verstöße gegen das Kartellrecht und Produktkonformitätsvorschriften. Er berichtete darüber mündlich dem Geschäftsführer, ohne jedoch das vorgesehene Hinweisgebersystem zu nutzen.
Kurz nach diesen internen Hinweisen erhielt der Kläger eine Kündigung während der Probezeit, die mit unzureichender fachlicher und organisatorischer Leistung begründet wurde. Der Kläger sah darin eine Repressalie und klagte gegen die Kündigung. Er berief sich auf § 36 HinSchG, der Repressalien gegenüber Hinweisgebern untersagt, und argumentierte, dass die Kündigung tatsächlich wegen seiner Hinweise ausgesprochen wurde.
Das Arbeitsgericht Osnabrück wies die Klage weitgehend ab. In der Berufung bestätigte das LAG Niedersachsen diese Entscheidung und stellte fest, dass die Voraussetzungen für einen Repressalienschutz nach dem Hinweisgeberschutzgesetz nicht erfüllt waren.
Rechtliche Bewertung
1. Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes
Das LAG Niedersachsen setzte sich intensiv mit der Frage auseinander, ob die Kündigung unter das Hinweisgeberschutzgesetz fiel. Nach § 36 HinSchG sind Repressalien gegenüber Personen, die rechtmäßig Verstöße melden oder offenlegen, verboten. Eine Kündigung kann daher unwirksam sein, wenn sie tatsächlich als Vergeltungsmaßnahme für eine rechtmäßige Meldung erfolgt ist.
Das Gericht stellte fest, dass der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes nicht eröffnet war, weil die Hinweise des Klägers nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Er hatte seine Vorwürfe weder schriftlich noch über das betriebliche Meldesystem vorgebracht, sondern sich lediglich mündlich an den Geschäftsführer gewandt.
Entscheidend war zudem, dass der Kläger die von ihm behaupteten Verstöße nicht hinreichend substantiiert darlegte. Das bloße Erwähnen von möglichen Verstößen gegen das Kartellrecht ohne konkrete Tatsachen reiche nicht aus, um den Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes zu beanspruchen.
2. Darlegungslast und Beweislast für die Unwirksamkeit der Kündigung
Das Gericht stellte klar, dass der Hinweisgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass die Kündigung wegen einer rechtmäßigen Meldung erfolgte. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer zunächst substantiiert darlegen muss:
- Welche konkreten Verstöße er gemeldet hat,
- Dass die Meldung rechtmäßig und gemäß den Vorgaben des HinSchG erfolgte,
- Dass die Kündigung tatsächlich als Repressalie für diese Meldung ausgesprochen wurde.
Der Kläger konnte weder die konkreten Verstöße noch die Kausalität zwischen seiner Meldung und der Kündigung hinreichend darlegen. Insbesondere fehlte es an einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Zwischen der angeblichen Meldung und der Kündigung lag über ein Monat. Zudem enthielt die Anhörung des Betriebsrats keine Hinweise darauf, dass die behaupteten Verstöße Grund für die Kündigung waren.
3. Keine Umgehung des Hinweisgeberschutzgesetzes durch mündliche Meldungen
Das Gericht stellte fest, dass mündliche Hinweise an den Geschäftsführer nicht ausreichen, um den Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes auszulösen. Die Meldung hätte entweder über die betriebliche Meldestelle oder – falls das nicht zumutbar gewesen wäre – über eine externe Meldestelle erfolgen müssen.
Die Argumentation des Klägers, er selbst sei als Compliance-Manager die interne Meldestelle gewesen, ließ das Gericht nicht gelten. Es verwies darauf, dass die interne Meldestelle ausdrücklich benannt und im Intranet veröffentlicht war. Die Meldung an den Geschäftsführer erfülle diese Voraussetzungen nicht.
Zudem stellte das Gericht klar, dass ein Hinweisgeber sich nicht dadurch dem Schutz des HinSchG entziehen kann, dass er bewusst den offiziellen Meldeweg umgeht.
4. Kein Maßregelungsverbot nach § 612a BGB
Auch das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB fand keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift darf ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Das Gericht verneinte einen Zusammenhang zwischen der angeblichen Rechtsausübung des Klägers und der Kündigung. Die Kündigung sei nicht aufgrund der Hinweise erfolgt, sondern wegen fachlicher Defizite und mangelnder organisatorischer Fähigkeiten des Klägers.
Die Begründung der Kündigung durch das Unternehmen – unter anderem die Kritik an der fehlenden pragmatischen Ausrichtung der Handlungsempfehlungen des Klägers – sei nachvollziehbar und entspreche den Anforderungen des § 1 KSchG.
Bedeutung der Entscheidung
Das Urteil des LAG Niedersachsen hat erhebliche Bedeutung für die Praxis des Kündigungsschutzes bei Whistleblowern. Es verdeutlicht, dass der Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes nur greift, wenn die Hinweise substantiiert, rechtmäßig und über die vorgesehenen Kanäle erfolgen. Zugleich zeigt die Entscheidung, dass sich Arbeitnehmer nicht allein auf den Schutz des HinSchG berufen können, wenn sie interne Kritik üben. Wer Verstöße melden möchte, muss die Vorgaben des Gesetzes strikt einhalten und insbesondere den vorgeschriebenen Meldeweg nutzen.
Für Unternehmen bedeutet das Urteil, dass sie nicht jede Kritik eines Mitarbeiters als potenziell geschützte Hinweisgebung hinnehmen müssen. Solange die Meldung nicht den Anforderungen des HinSchG entspricht, sind auch arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Kündigungen möglich.
Fazit
Das LAG Niedersachsen hat klargestellt, dass der Schutz von Whistleblowern nach dem Hinweisgeberschutzgesetz nur unter strikten Voraussetzungen greift. Wer Verstöße meldet, muss dies auf den dafür vorgesehenen Wegen tun und die Verstöße detailliert darlegen. Eine bloße Andeutung möglicher Rechtsverstöße reicht nicht aus, um sich auf den Repressalienschutz zu berufen.
Die Entscheidung sorgt für Rechtsklarheit, stärkt die Rechtssicherheit für Arbeitgeber und setzt Maßstäbe für den Umgang mit internen Meldungen. Sie zeigt aber auch, dass der Schutz von Whistleblowern in Deutschland an hohe Anforderungen geknüpft ist und daher in der Praxis nur selten erfolgreich geltend gemacht werden kann.
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