Die Anbringung eines CE-Kennzeichens auf persönlicher Schutzausrüstung (PSA) ist kein bloßer Formalakt, sondern eine verbindliche Erklärung, dass das Produkt den europäischen Sicherheitsstandards entspricht. Doch was passiert, wenn ein Hersteller sich auf scheinbar seriöse Prüfinstitute verlässt, die in Wahrheit nur gefälschte oder irreführende Zertifikate ausstellen? Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat in einem Urteil vom 25. Juni 2025 (9 U 52/23) klargestellt, dass sich ein Exporteur das arglistige Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen – in diesem Fall der beauftragten Prüfinstitute – zurechnen lassen muss. Die Entscheidung zeigt, wie riskant es ist, sich auf dubiose Zertifizierungsstellen zu verlassen, und welche rechtlichen Konsequenzen dies nach sich zieht.
Falsche CE-Kennzeichen auf Atemschutzmasken
Im Frühjahr 2020, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, schloss ein chinesischer Hersteller einen Vertrag mit einer deutschen Einkaufsgesellschaft über die Lieferung von 4,6 Millionen FFP2- und FFP3-Atemschutzmasken. Die Masken waren mit CE-Kennzeichen versehen, das ihre Konformität mit der EU-Verordnung 2016/425 bescheinigen sollte. Doch Tests des TÜV Nord ergaben, dass die Masken die geforderten Schutzstandards nicht erfüllten. Zudem stammten die vorgelegten Zertifikate nicht von notifizierten Stellen, sondern von Unternehmen in Polen, Italien und China, die keine Berechtigung zur Ausstellung solcher Bescheinigungen hatten.
Der Käufer erklärte den Rücktritt vom Vertrag und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Der Hersteller wehrte sich mit dem Argument, er habe auf die Richtigkeit der Zertifikate vertraut und keine Kenntnis von deren Unwirksamkeit gehabt. Das Landgericht Frankfurt gab dem Käufer recht, und das OLG Frankfurt bestätigte diese Entscheidung in der Berufungsinstanz. Entscheidend war dabei nicht nur das eigene Verhalten des Herstellers, sondern auch das seiner Erfüllungsgehilfen – der Prüfinstitute, die die Zertifikate ausgestellt hatten.
Arglistige Täuschung durch „Voluntary Certificates“
Das OLG Frankfurt stellte fest, dass die ausgestellten Dokumente – darunter sogenannte „Voluntary Certificates“ – keinen anderen Zweck hatten, als die Einhaltung der EU-Vorschriften vorzutäuschen. Solche Zertifikate sind keine offiziellen Konformitätsbescheinigungen, sondern werden von nicht notifizierten Stellen ausgestellt, um den Anschein einer rechtmäßigen CE-Kennzeichnung zu erwecken.
Die Richter sahen darin ein arglistiges Verhalten im Sinne des § 377 Abs. 5 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Denn die Zertifikate waren so gestaltet, dass sie bei einem objektiven Betrachter den Eindruck erweckten, die Masken entsprächen den Anforderungen der EU-Verordnung. Besonders problematisch war, dass die Dokumente Begriffe wie „presumption of conformity“ (Vermutung der Konformität) verwendeten – eine Formulierung, die direkt aus der Verordnung stammt und damit den falschen Anschein einer offiziellen Prüfung erzeugte.
Das Gericht betonte, dass selbst wenn der Hersteller selbst nicht vorsätzlich gehandelt habe, ihm das Verhalten der Prüfinstitute nach § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zugerechnet werden müsse. Denn die Institute waren als Erfüllungsgehilfen tätig, da sie mit der Prüfung der Konformität beauftragt worden waren. Ihr Handeln – die Ausstellung irreführender Zertifikate – war damit dem Hersteller zuzurechnen.
Zurechnung nach § 278 BGB
Nach § 278 BGB muss sich ein Schuldner das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen wie eigenes Verschulden anrechnen lassen. Das OLG Frankfurt argumentierte, dass die Prüfinstitute nicht nur eine interne Dienstleistung für den Hersteller erbracht, sondern eine zentrale Vertragspflicht erfüllt hatten: die Sicherstellung, dass die Masken den europäischen Standards entsprachen.
Dass die Institute keine notifizierten Stellen waren, war für das Gericht kein Entlastungsgrund. Im Gegenteil: Gerade weil sie wussten, dass sie keine berechtigten Zertifikate ausstellen durften, handelten sie arglistig. Der Hersteller hätte erkennen müssen, dass die Ausstellung von „Voluntary Certificates“ keine ausreichende Grundlage für die CE-Kennzeichnung bietet. Selbst wenn er selbst gutgläubig war, ändert dies nichts an der Haftung, da er sich auf die Kompetenz seiner Erfüllungsgehilfen verlassen hatte – und diese ihn durch ihr Handeln in die Irre führten.
Konsequenzen: Rücktritt und Schadensersatz
Da die Masken nicht den vereinbarten Eigenschaften entsprachen und die Täuschung durch die Zertifikate arglistig erfolgte, konnte sich der Hersteller nicht auf die Rügeobliegenheit des Käufers nach § 377 HGB berufen. Normalerweise muss ein Käufer Mängel unverzüglich rügen, andernfalls gilt die Ware als genehmigt. Bei arglistigem Verschweigen von Mängeln entfällt diese Pflicht jedoch. Der Käufer war daher berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten und die Rückzahlung des Kaufpreises zu verlangen.
Das OLG Frankfurt wies auch den Einwand des Herstellers zurück, die Masken hätten aufgrund der hohen Nachfrage während der Pandemie anderweitig verkauft werden können. Selbst wenn dies möglich gewesen wäre, ändert es nichts an der Tatsache, dass die Lieferung mangelhafter Ware mit gefälschten Zertifikaten eine schwerwiegende Vertragsverletzung darstellt.

Vorsicht bei KI-Systemen
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist eine klare Warnung an Hersteller und Exporteure: Wer entsprechend regulierte Produkte in die EU liefert, ist für die Richtigkeit der Zertifikate voll verantwortlich. Blindes Vertrauen in Prüfinstitute reicht nicht aus, insbesondere nicht, wenn diese nicht offiziell notifiziert sind. Unternehmen müssen ihre Zertifizierungspartner daher sorgfältig prüfen. Wer auf zweifelhafte „Voluntary Certificates“ setzt, riskiert nicht nur den Verlust von Geschäften, sondern muss auch mit hohen Schadensersatzforderungen rechnen.
Dabei sollte man im Blick haben, dass sich die Thematik auch bei Software, speziell bei KI-Systemen, stellt: KI-Systeme benötigen ein CE-Kennzeichen, wenn sie gemäß der EU-KI-Verordnung als Hochrisiko-KI-Systeme eingestuft werden und in Verkehr gebracht oder betrieben werden sollen. Die CE-Kennzeichnung dokumentiert, dass das System alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt und eine entsprechende Konformitätsbewertung durchgeführt wurde. Dies gilt sowohl für physisch als auch für digital bereitgestellte Hochrisiko-KI-Systeme. Anbieter, die es hierbei versäumen, die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen, müssen mit erheblichen Forderungen ihrer Kunden rechnen – die vorliegende Entscheidung dürfte entsprechende Verfahren befeuern.
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