Digitalisierung der Justiz: Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit geplant (2025)

Gesetzesentwurf zur Einführung von Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit: Die Bundesregierung treibt die digitale Transformation der Justiz weiter voran. Mit dem neuen Regierungsentwurf zur Förderung von Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit soll ein eigenständiges digitales Streitverfahren eingeführt werden, das auf einfache, niederschwellige und medienbruchfreie Abläufe setzt. Ziel ist es, vor allem Bürgerinnen und Bürger ohne anwaltliche Vertretung einen unkomplizierten Zugang zum Recht zu ermöglichen.

Worum geht es?

Kern des Entwurfs ist die Schaffung eines vollständig digitalen Zivilverfahrens, das sich durch eine konsequente Online-Kommunikation zwischen Gericht und Parteien auszeichnet. Der Entwurf sieht dafür ein eigenes Regelungsregime in einem neuen Buch der Zivilprozessordnung vor. Das Verfahren richtet sich vor allem an natürliche Personen als Kläger und soll niedrigschwellige Streitigkeiten – etwa aus dem Bereich des täglichen Lebens oder des Verbraucherschutzes – erfassen. Die Einführung eines bundesweit einheitlichen Online-Portals soll dabei die zentrale Anlaufstelle für Einreichungen, Kommunikation und Informationen bilden.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Benutzerfreundlichkeit: Schrittweise angeleitete Online-Formulare sollen es auch rechtlich nicht vorgebildeten Nutzern ermöglichen, ihre Anliegen strukturiert vorzutragen. Gleichzeitig wird die richterliche Verfahrensleitung gestärkt, um frühzeitig auf eine sachgerechte Konfliktlösung hinzuwirken – einschließlich der Möglichkeit digital unterstützter Vergleichsgespräche.

Das Online-Verfahren soll zudem flexibel gestaltet werden: Es kann auf Antrag oder richterliche Anordnung in das reguläre Zivilverfahren überführt werden, etwa wenn sich eine erhöhte Komplexität abzeichnet. Auch soll der mündlichen Verhandlung auf digitalem Weg mehr Raum gegeben werden, wobei Präsenztermine weiterhin möglich bleiben.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Neue Rechtskultur … ?

Das Gesetzgebungsverfahren steht im Zeichen eines kulturellen Wandels innerhalb der Ziviljustiz: Weg von formularzentrierten Schriftsätzen und zeitaufwendigen Aktenübermittlungen, hin zu einem modernen, serviceorientierten Verfahrensdesign. Das Online-Verfahren soll zugleich Modellcharakter haben – als Impuls für die Weiterentwicklung des gesamten Justizwesens im digitalen Raum.

Was positiv klingt, sollte allerdings kritisch gesehen werden von den Bürgern: Man wird glauben, dass Anwälte dagegen sind, weil man Mandate verliert. Weit gefehlt, wenn auf dem Weg bzw. durch Legal Tech “Kleinkram” in den Anfragen verschwindet, entlastet das jedenfalls spezialisierte Kanzleien wie die unsrige massiv. Das Problem liegt woanders: Was hier bürgerfreundlich um die Ecke kommt, ist nur die Vorbereitung eines Systems, in dem vollständig digital Sachverhalte aufbereitet und theoretisch sogar entschieden werden können. Der deutsche Gesetzgeber ist seit über einem Jahrzehnt inzwischen auf dem Trip, dass die Justiz effektiver werden muss – und setzt “Effektiv” mit “weniger Bürgerrechte” gleich. Was heute den meisten noch zu teuer ist, wird in Zukunft vielleicht mangels beteiligter Menschen zu unnütz sein. Die Justiz begeht einen gefährlichen Weg der Selbstabschaffung.

Die Menschen wenden sich zunehmend von der Justiz ab – ein solches Gesetz, das Zivilprozesse zur Makulatur verkommen lässt, wird diesen Trend nicht aufhalten, sondern wie ein Brandbeschleuniger wirken.

Strukturelle Ergänzung der ZPO

Es soll ein neues 12. Buch ab §1122 ZPO geschaffen werden. Dabei soll es erst einmal pilotierende Gerichte geben, an denen es eingerichtet und getestet wird. Besondere Aufmerksamkeit für den Alltag verdienen dabei §1122 ZPO (wo findet das Verfahren statt) und dann die §§1124-1130 ZPO zur Umsetzung:

  • §1122 (Zulässigkeit): Die Erprobung des Online-Verfahrens beschränkt sich auf zivilrechtliche Verfahren vor den Amtsgerichten, in denen die Zahlung einer Geldsumme geltend gemacht wird, die den Zuständigkeitsstreitwert nicht übersteigt; wobei Sie bitte daran denken, dass man die Schwelle nach aktuellen Plänen von derzeit 5.000 EUR auf zukünftig 10.000 EUR anheben möchte! Die in § 23a GVG gelisteten Verfahren sind ausgenommen. Wird eine Klage im Online-Verfahren eingereicht, die hiernach nicht zulässig ist, wird sie als „normale” Klage weitergeführt.
  • §§1124 bis 1126 ZPO (Ablauf): Es soll eine digitale Plattform geben, grundsätzlich vom Bund bereitgestellt, die Länder können was Eigenes machen – die typische Schwäche in unserer Justiz wird also beibehalten. Man kann dann über die Kommunikationsplattform einreichen oder auch etwa per BEA, ebenso können bislang geführte Mahnverfahren nach Widerspruch in das Online-Verfahren überführt werden.
  • Besonderheit strukturierter Vortrag (speziell §1126 II ZPO): Wie ich oben bereits angemerkt habe, kann das Gericht anordnen, dass der Beklagte die Klageerwiderung sowie die Parteien ihren jeweiligen weiteren Vortrag in digitaler Form gegenüberstellen oder in einem digitalen Verfahrensdokument ergänzen. Ebenso kann das Gericht den Parteien (fristgebunden) die Ergänzung oder Erläuterung ihres Vortrags durch Zuordnung von Eingabefeldern zum jeweiligen Streitstoff aufgeben. Die Relation des Sachverhalts wird also an die Parteien delegiert und digital so strukturiert, dass eine fertige Relationstabelle entsteht, die auch automatisiert bearbeitet werden kann. Warum mich das stört: Weil der Streitfall auf einen Pseudo-Sachverhalt reduziert wird – rechtliche Überlegungen, logische Argumentation, rhetorische Aufbereitung – all dies geht vollständig verloren. Nur ein Laie, der glaubt, es gehe um den „wirklich wahren Sachverhalt”, findet das vorteilhaft – aber so wie es aussieht, finden sich eben diese Laien in der Gesetzgebung.
  • Mündliche Verhandlung (§1127 ZPO): Eine mündliche Verhandlung ist nur ausnahmsweise der Fall und dann auch im Regelfall eine Videoverhandlung. Sie kommt insbesondere in Betracht, wenn man sich die Parteien persönlich anhören/ansehen möchte oder eine Beweisaufnahme im Raum steht. Die Beweisaufnahme kann dabei ebenso online durchgeführt werden; insbesondere sind allerdings zukünftig in diesem Verfahren schriftliche Erklärungen von Zeugen ein geeignetes Beweismittel (§1129 II ZPO). Das Gericht kann mit §1127 IV ZPO-E “nach billigem Ermessen” ansonsten quasi machen, was es will. Die Urteilsverkündung kann im Übrigen durch die Urteilszustellung ersetzt werden (§1130 II ZPO).

Ich habe die Hoffnung, wenn man obiges liest, dass meine kritische Haltung beim Lesen zunehmend nachvollziehbarer wurde: Ein echter Zivilprozess ist, bei konsequenter Fortführung, nicht mehr zu erkennen – speziell die telefonische oder gar nur noch schriftliche Erhebung des Zeugenbeweises lässt mich fast verzweifeln. Es wird ohnehin schon in unvorstellbarem Maße bei Gericht gelogen – nun brechen auch noch alle Dämme, wenn man zu Verurteilungen durch rein schriftliche Erklärungen beitragen kann. Die Menschen wenden sich bereits zunehmend von der Justiz ab – ein solches Gesetz, das Zivilprozesse zur Makulatur verkommen lässt, wird diesen Trend nicht aufhalten, sondern wie ein Brandbeschleuniger wirken.


Neue Aufgaben für Anwälte

Wenn ein Online-Verfahren nach diesem Vorbild kommt, sehe ich neue Belehrungspflichten für Rechtsanwälte, da die Nachteile auf der Hand liegen – auf keinen Fall sollte man dem schlichten Wunsch des Mandanten nach einem Online-Verfahren folgen, sondern schriftlich dokumentiert zumindest auf diese Aspekte hinweisen:

  • Es bestehen erhebliche Unsicherheiten mit Blick auf freie Verfahrensführung & Beweiserhebung – das Verfahren stellt insoweit einen echten Nachteil gegenüber einem klassischen Verfahren dar; insbesondere kann man nicht einseitig einen klassischen mündlichen Termin erzwingen
  • Die dem gegenüberstehenden attraktiven Kostenvorteile durch gesparte Anwaltskosten auf beiden Seiten (mangelnde Anreise bei entferntem Gerichtsort) sind nicht zwingend, da das Gericht sehr leichtfertig von einem Online-Termin abweichen kann!

Es entstehen also auf Anwaltsseite nur noch mehr Aufgaben und mandatsinterne Risiken bei Streit. Aber andererseits gehe ich ohnehin davon aus, dass klassische deutsche Zivilrichter und der lebensferne, überforderte Gesetzgeber derzeit alles dafür tun, dass der Zivilprozess weiter ausstirbt … mit erheblichen Risiken für unsere liberale Gesellschaft.

Hintergrund des Gesetzentwurfs

Aus rechtspolitischer Sicht verbindet der Entwurf zwei Ziele: Er will dem gestiegenen Bedürfnis nach digital zugänglichem Rechtsschutz Rechnung tragen und zugleich die Justiz entlasten, indem Routinekonflikte effizient bearbeitet werden. Dabei berücksichtigt der Gesetzgeber die Vorgaben des europäischen Rechts ebenso wie Anforderungen an Barrierefreiheit und Datenschutz. Der Entwurf betont zudem, dass eine konsequente Digitalisierung der Verfahrensabläufe nicht nur Effizienz verspricht, sondern auch die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen stärken kann – insbesondere bei bislang justizfernen Gruppen. Wie man meiner oben stehenden Kritik entnehmen kann, sehe ich dieses Ziel als vollständig verfehlt an.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Anwaltskanzlei ist spezialisiert auf Strafverteidigung, Cybercrime, Wirtschaftsstrafrecht samt Steuerstrafrecht sowie IT-Recht und Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen übernommen - wir sind im Raum Aachen zu finden und bundesweit tätig.
Rechtsanwalt Jens Ferner
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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