Keine StrEG-Entschädigung bei grober Fahrlässigkeit: Mit Beschluss vom 18. September 2024 (Az. 3 StR 259/24) hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur prozessualen und materiellrechtlichen Behandlung einer Einstellung nach § 206a StPO Stellung genommen.
Die Entscheidung betrifft nicht nur die Frage, wie mit Auslagen des Angeklagten im Falle seines Todes umzugehen ist, sondern klärt auch die Voraussetzungen für die Versagung einer Haftentschädigung nach § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG. Der Senat stellt klar: Grob fahrlässiges Verhalten des Beschuldigten kann eine Entschädigung ausschließen – auch dann, wenn das Verfahren aufgrund seines Todes eingestellt wird.
Verfahrensstand und prozessualer Kontext
Das Landgericht Osnabrück hatte den Angeklagten am 27. Februar 2024 wegen Diebstahls in zwei Fällen und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein, die sich auf eine allgemeine Sachrüge beschränkte.
Während des Revisionsverfahrens verstarb der Angeklagte. Gemäß § 206a StPO war das Verfahren damit wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. In diesem Zusammenhang hatte der BGH über die prozessualen Nebenfolgen zu entscheiden: Wer trägt die Kosten des Verfahrens? Besteht ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen? Und ist für die während des Verfahrens vollzogene Auslieferungs- und Untersuchungshaft eine Entschädigung zu leisten?
Keine Auslagenerstattung trotz Einstellung – § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO
Grundsätzlich sind bei Einstellung eines Verfahrens die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 Abs. 1 StPO). Davon kann jedoch abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegen – namentlich, wenn das Verfahren eingestellt wurde, weil ein Verfahrenshindernis (hier: Tod) eingetreten ist, und die Revision keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Letzteres stellte der BGH ausdrücklich fest. Die Revision war mit einer allgemeinen Sachrüge begründet, die nach der Einschätzung des Generalbundesanwalts – und nun auch des Senats – inhaltlich keine Erfolgsaussichten bot. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Erstattung durch die Staatskasse ausschließen. Das Gericht knüpft damit an die ständige Rechtsprechung an, wonach bei Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels eine Auslagenerstattung ausscheidet – selbst bei prozessualem Wegfall der Verfahrensgrundlage.
Haftentschädigung und grobe Fahrlässigkeit – § 5 Abs. 2 StrEG
Besondere Bedeutung kommt dem weiteren Aspekt der Entscheidung zu: der Frage, ob der verstorbene Angeklagte – respektive seine Erben – Anspruch auf Entschädigung für erlittene Auslieferungs- und Untersuchungshaft haben.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG entfällt ein Entschädigungsanspruch, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme „grob fahrlässig“ selbst verursacht hat. Der BGH bejaht diese Voraussetzung mit Hinweis auf die erhebliche Vorstrafenbelastung des Angeklagten sowie den Unrechtsgehalt der verfahrensgegenständlichen Taten. Das Verhalten sei geeignet gewesen, die Strafverfolgung geradezu herauszufordern, was eine Haftmaßnahme jedenfalls nicht unangemessen erscheinen lasse.
Zudem macht der Senat von seinem Ermessen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG Gebrauch, wonach selbst bei fehlender grober Fahrlässigkeit eine Entschädigung versagt werden kann, wenn „besondere Umstände“ dies rechtfertigen. Hierzu zählt etwa ein erhebliches Vorverschulden, das im konkreten Fall durch die Umstände der Tat und die Vorgeschichte des Angeklagten hinreichend belegt sei.
Systematische Bedeutung und rechtspolitische Implikationen
Die Entscheidung fügt sich in eine Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Versagung von Entschädigungsleistungen bei grob fahrlässigem oder provokativem Verhalten des Beschuldigten erlaubt. Bemerkenswert ist, dass der BGH diese Maßstäbe auch bei einer verfahrensbeendenden Maßnahme wie dem Tod des Angeklagten anlegt, also auch in Konstellationen, in denen das Verfahren nicht durch materiellrechtliche Klärung endet.
Die Kombination aus § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG ermöglicht eine differenzierte Bewertung: Während § 5 Abs. 2 eine rechtlich gebundene Entscheidung verlangt, eröffnet § 6 Abs. 1 einen Ermessensspielraum, der etwa bei signifikanter Vorbelastung oder Bagatellverhalten der Justiz entgegenstehen kann.
Abschluss
Der Ertrag dieser Entscheidung liegt in der Festigung eines differenzierten Systems der Haftentschädigung. Der BGH bekräftigt: Die Staatskasse ist nicht verpflichtet, Haftfolgen zu kompensieren, die durch eigenes Fehlverhalten des Beschuldigten herausgefordert wurden – selbst wenn das Strafverfahren aufgrund eines Verfahrenshindernisses endet. Das Recht auf Entschädigung ist keine pauschale Genugtuung, sondern steht unter dem Vorbehalt eigener Verantwortung und Verhältnismäßigkeit.
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