Mit Beschluss vom 13. Februar 2025 (Az. 2 ARs 13/25) hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine Entscheidung getroffen, die auf den ersten Blick rein verfahrensrechtlich erscheint – tatsächlich aber grundsätzliche Weichen für die Praxis der Bußgeldverfahren gegen Jugendliche stellt.
Es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine gerichtliche Abgabe an ein anderes Amtsgericht gemäß § 42 Abs. 3 JGG zulässig ist, wenn sich das Verfahren gegen einen Jugendlichen richtet und das Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung findet. Im Ergebnis hebt der BGH einen Abgabebeschluss des Amtsgerichts Marl auf und weist dem dortigen Jugendgericht die Zuständigkeit erneut zu – mit überzeugender Begründung, die sich gegen eine opportunistische Verschiebung der gerichtlichen Verantwortung ausspricht.
Der rechtliche Kontext: Duale Zuständigkeit und Koordinationspflicht
Das Jugendgerichtsgesetz kennt neben dem allgemeinen Gerichtsstand (§ 42 Abs. 1 JGG) eine besondere Regelung für die Verlagerung der gerichtlichen Zuständigkeit, wenn dies sachgerecht erscheint (§ 42 Abs. 3 JGG). Gleichzeitig gilt für Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 68 OWiG, dass grundsätzlich das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat, die den Bußgeldbescheid erlassen hat. Beide Vorschriften stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, das durch die Vorschriften der Strafprozessordnung überlagert wird, etwa § 12 Abs. 2 StPO über die Abgabe des Verfahrens bei beginnender Hauptverhandlung – welcher über § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren Anwendung findet.
Der BGH nutzt die vorgelegte Fallkonstellation, um dieses Normengefüge klar zu strukturieren: Maßgeblich für die gerichtliche Zuständigkeit bleibt zunächst § 68 Abs. 1 und 2 OWiG, der am Sitz der Verwaltungsbehörde orientiert ist. Nur wenn darüber hinaus die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Ermessens den besonderen Jugendgerichtsstand nach § 42 JGG bestimmt, kann sich daraus eine Abweichung ergeben – jedoch nicht nach Beginn der gerichtlichen Verhandlung und nicht durch einseitige Entscheidung des Gerichts.
Die Entscheidung: Keine Abgabe ohne verfahrensrechtliche Reife
Das Amtsgericht Marl hatte das Verfahren gegen einen Jugendlichen – nach Erlass eines Bußgeldbescheids durch das dortige Ordnungsamt – zunächst selbst anberaumt, dann aber vor Beginn der Hauptverhandlung an das Amtsgericht Balingen abgegeben. Der BGH erkennt hierin eine unzulässige Kompetenzverlagerung. Die Voraussetzungen für eine zulässige Abgabe lagen nicht vor, weil keine Hauptverhandlung begonnen hatte und die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens die Verfahrensführung weder abgeändert noch einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
Der Senat betont, dass die Möglichkeit zur Abgabe nach § 12 Abs. 2 StPO – und analog auch nach § 42 Abs. 3 JGG – erst dann besteht, wenn die gerichtliche Hauptverhandlung tatsächlich begonnen hat. Der Grund liegt auf der Hand: Vor Beginn der Verhandlung bleibt die Staatsanwaltschaft noch Herrin des Verfahrens und kann jederzeit – etwa im Rahmen einer Rücknahme – das Verfahren steuern. Ein Abgabebeschluss des Gerichts vor diesem Zeitpunkt greift unzulässig in diese Organisationshoheit ein und ist daher unwirksam. Diese dogmatische Klärung bringt Rechtsklarheit und verhindert, dass Gerichte eigenmächtig verfahrenstaktische Zuständigkeitswechsel vornehmen.
Praktische Erwägungen: Effizienz vor formaler Flexibilität
In einer instruktiven Passage bezieht sich der BGH ausdrücklich auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts, der auch die sachliche Unangemessenheit der Verlagerung anmerkt: Die geplante Abgabe nach Balingen hätte nicht nur erhebliche logistische Probleme mit sich gebracht – etwa die Anreise zahlreicher Zeugen aus Marl –, sondern auch die Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe erschwert, die bereits in anderen Verfahren gegen denselben Betroffenen involviert war. Da der Jugendliche im Bußgeldverfahren nicht persönlich erscheinen musste, hätte eine Verlagerung im Ergebnis ausschließlich das Verfahren verkompliziert, ohne Mehrwert für die Verfahrensdurchführung zu schaffen.
Diese Argumentation verweist auf ein zentrales Anliegen des Jugendstrafrechts: Die sachgerechte, effiziente und pädagogisch eingebettete Verfahrensführung steht im Vordergrund. Eine bloße Verschiebung der gerichtlichen Zuständigkeit aus Gründen verfahrensökonomischer Opportunität – etwa wegen einer räumlichen Nähe des Betroffenen zum Gericht – darf diesem Prinzip nicht entgegenstehen, wenn sie mit erhöhtem Aufwand, Rechtsunsicherheit oder Kompetenzverlust einhergeht.
Schlussfolgerung
In der Kernaussage macht der Beschluss des Bundesgerichtshofs deutlich, dass gerichtliche Abgaben im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Jugendliche klare rechtliche Voraussetzungen unterliegen und nicht der formlosen Disposition der Gerichte unterliegen. Die Kombination aus § 68 OWiG, § 42 JGG und § 12 StPO verlangt eine strukturierte Koordination zwischen Verwaltungsbehörde, Staatsanwaltschaft und Gericht. Eigenmächtige Zuständigkeitswechsel – insbesondere vor Beginn der Hauptverhandlung – untergraben dieses System und gefährden die rechtsstaatliche Ordnung des Jugendverfahrens. Die Entscheidung erinnert damit an einen zentralen rechtspraktischen Grundsatz: Zuständigkeit ist kein Spielball des Verfahrens, sondern Ausdruck einer rechtlich verankerten, institutionellen Verantwortung.