Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung ist seit ihrer Reform im Jahr 2017 ein zentrales Instrument im Kampf gegen wirtschaftskriminelles Verhalten. Ihre dogmatische Strenge zeigt sich jedoch immer wieder an der Kausalitätsfrage: Wann ist ein Vermögensvorteil tatsächlich „durch“ eine Straftat erlangt? Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 2025 (Az. 1 StR 512/24) gibt auf diese Frage eine präzise Antwort – und grenzt die Einziehung im Kontext des § 266a StGB deutlich ein.
In dem entschiedenen Fall war der Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie Steuerhinterziehung in 61 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht Dortmund die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 255.000 Euro angeordnet. Der Bundesgerichtshof hob diesen Einziehungsbeschluss nun auf – mit bemerkenswert klarer Argumentation zur Vermögenssphärentheorie, zur Reichweite der Tatkausalität und zur Grenzen der Einziehungsdogmatik.
Die strafrechtliche Problematik: Tatbezug und Vermögensvorteil
Kernpunkt der Entscheidung ist die Frage, ob der Angeklagte durch die verfahrensgegenständlichen Taten im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB einen Vermögensvorteil „erlangt“ hat. Das Landgericht hatte seine Einziehungsentscheidung darauf gestützt, dass durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern eine entsprechende Ersparnis eingetreten sei – ein Gedanke, der auf den ersten Blick naheliegt. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch klar: Diese Ersparnis trat nicht im Vermögen des Angeklagten, sondern ausschließlich im Vermögen der jeweiligen Gesellschaften ein, die Arbeitgeberin der Schwarzarbeiter waren. Der Angeklagte selbst konnte sich – so die Feststellungen – nicht einmal einen Lohn auszahlen lassen.
Dieser Punkt ist entscheidend, denn die Einziehung setzt voraus, dass der Täter persönlich einen Vorteil erlangt, der kausal auf der Tat beruht. Die abstrakte Mitverantwortung als faktischer Geschäftsführer oder wirtschaftlicher Nutznießer genügt nicht, solange der Vorteil nicht unmittelbar in seinem Vermögen realisiert ist. Mit dieser Differenzierung bekräftigt der Senat den Grundsatz, dass die Einziehung nicht als Ersatzstrafe oder pauschales Abschöpfungsinstrument fungieren darf – sondern an konkrete, individualisierte Vorteile anknüpfen muss.
Keine Einziehung über den Umweg des „Tatlohns“
Auch eine alternative Begründung über die Erlangung eines sogenannten Tatlohns – also einer Gegenleistung für die Tatbegehung – verwarf der BGH. Zwar wurde in der Vergangenheit teilweise diskutiert, ob auch unterbliebene Zahlungen, die im wirtschaftlichen Interesse des Täters liegen, unter diese Kategorie fallen könnten. Im konkreten Fall lag jedoch keine solche Gegenleistung vor: Die Gesellschaften waren finanziell dauerhaft nicht in der Lage, dem Angeklagten einen Geschäftsführerlohn zu zahlen. Die rein hypothetische Möglichkeit, in einem idealen Geschäftsverlauf von den Ersparnissen zu profitieren, genügt nicht. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auch auf seine eigene Vorentscheidung (1 StR 197/24), die eine vergleichbare Fallkonstellation betraf und die Anforderungen an den Tatlohn streng definierte.
Kein Rückgriff auf sachfremde Einnahmen
Bemerkenswert ist darüber hinaus die ausdrückliche Absage des BGH an den Versuch, andere, nicht tatkausale Einnahmen des Angeklagten – hier: nicht versteuerte Mieteinnahmen für die Unterbringung der Arbeiter – in die Einziehung einzubeziehen. Zwar hatte das Landgericht auch diese Beträge in die Berechnung einfließen lassen. Der Senat stellt jedoch klar, dass § 73 StGB in seiner aktuellen Fassung einen kausalen Zusammenhang zwischen Tat und Vorteil verlangt. Einnahmen, die nicht auf die verfahrensgegenständliche Tat – sondern etwa auf eigenständige steuerliche Unregelmäßigkeiten – zurückgehen, sind dem Einziehungstitel entzogen. Die verkürzte Einkommensteuer war im Verfahren nicht angeklagt, sodass deren Erträge auch nicht einziehungsfähig sind. Diese saubere Trennung unterschiedlicher strafrechtlicher Normkomplexe zeugt von dogmatischer Sorgfalt.
Die prozessuale Konsequenz: Entfallen der Einziehungsentscheidung
Da keine tragfähige Grundlage für die Einziehungsentscheidung bestand und keine weiteren tragfähigen Feststellungen zu erwarten waren, ließ der Bundesgerichtshof die Einziehung vollständig entfallen. Dies bedeutet nicht nur einen formellen Teilerfolg für den Angeklagten, sondern illustriert auch, wie scharf die Anforderungen an eine korrekte dogmatische Herleitung der Einziehung sind. Die bloße Intuition, ein Täter müsse „irgendetwas verdient haben“, reicht nicht – es bedarf eines nachweisbaren Vorteils, der mit der Tat im Sinne eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs verknüpft ist.
Fazit
In der Kernaussage macht der Beschluss des Bundesgerichtshofs deutlich, dass die Einziehung auch im Bereich des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen strengen tatbezogenen Kriterien unterliegt. Erreichte Vermögensverschiebungen, die nicht unmittelbar beim Täter, sondern bei Dritten – hier: juristischen Personen – eintreten, können nicht ohne Weiteres dem Täter zugerechnet werden. Die Entscheidung betont das rechtsstaatliche Prinzip, dass die Vermögensabschöpfung kein Instrument pauschaler Kriminalitätsbekämpfung ist, sondern ein gezielt eingesetztes Mittel zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände.
Für die Praxis bedeutet dies: Wer Einziehung betreiben will, muss nicht nur die Tat, sondern auch deren wirtschaftliche Folgen präzise zuordnen. Nur so kann die Einziehung als legitimiertes Instrument des Strafverfahrens bestehen – und wird nicht zum Schatten einer strafrechtlichen Generalabrechnung.
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