In aktueller Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, 1 StR 156/24) geht es um ein komplexes Zusammenspiel zwischen strafrechtlicher Verantwortung und sozialrechtlicher Abrechnung ärztlicher Leistungen.
Der Fall bezieht sich auf einen Vertragsarzt, der durch vermeintlich gezielte Scheingestaltungen versucht haben soll, steuerliche und rechtliche Verpflichtungen zu umgehen. Der BGH bestätigte hierbei den Freispruch des Landgerichts, betonte jedoch, dass zur Verurteilung keine ausschließliche Gewissheit erforderlich ist.
Sachverhalt
Der Angeklagte, ein niedergelassener Vertragsarzt, hatte durch einen Verein und Kooperationsverträge den Anschein erweckt, seine Praxis in anderer Rechtsform weiterzuführen. Ziel war, wirtschaftliche Gewinne vor Steuerbehörden zu verbergen, während er weiterhin als Vertragsarzt tätig war und Leistungen abrechnete. Die wesentlichen Vorwürfe bestanden in der Abrechnung von ärztlichen Leistungen ohne rechtliche Grundlage und in der Steuerhinterziehung. Das Landgericht sprach den Angeklagten frei, da keine täuschungsbedingte Irreführung nachweisbar sei.
Rechtliche Würdigung
Täuschungstatbestand bei Abrechnung
Der BGH betont, dass die Abgabe von Sammelerklärungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung den Anschein erweckt, die Abrechnungsvoraussetzungen – insbesondere die Tätigkeit „in freier Praxis“ – seien erfüllt. Eine Täuschung könnte bereits dann vorliegen, wenn der Angeklagte wusste, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben waren. Dies würde § 263 Abs. 1 StGB erfüllen, da die Abrechnung einer Zulassung als Vertragsarzt bedarf.
Anforderungen an die Beweiswürdigung
Der BGH stellte klar, dass an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Eine absolute Gewissheit ist nicht notwendig, solange die Beweiswürdigung schlüssig und nachvollziehbar ist. Das Landgericht sei rechtlich korrekt vorgegangen, da es alle relevanten Aspekte der Vertragsgestaltung als Scheingeschäfte bewertet habe. Insbesondere sei hervorgehoben worden, dass die Entscheidungsbefugnis in der Praxis faktisch stets beim Angeklagten lag.
Scheingeschäfte und wirtschaftliches Risiko
Die Gründung des Vereins und der „Geschäfts-Kooperationsvertrag“ wurden als rechtsunwirksame Scheingeschäfte gewertet. Der BGH unterstützte diese Bewertung, da die wirtschaftlichen Risiken und Gewinne weiterhin allein beim Angeklagten lagen. Seine faktische Kontrolle über die Praxis zeigte, dass die rechtliche Gestaltung keinen Einfluss auf den tatsächlichen Betrieb hatte.
Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass der BGH zwar hohe Anforderungen an die Beweiswürdigung stellt, jedoch keine absolut zweifelsfreie Beweisführung verlangt. Für den Tatbestand der Täuschung genügt, dass die Indizien eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen des Straftatbestands begründen. Dies stärkt die Flexibilität der Gerichte bei der Bewertung komplexer Sachverhalte im Bereich des Abrechnungsbetrugs und zeigt, dass auch rechtlich konstruierte Gestaltungen bei einem Missbrauchsverdacht sorgfältig geprüft werden müssen.
Diese Entscheidung unterstreicht zudem die strafrechtlichen Risiken für Ärzte, die bewusst durch rechtliche Konstruktionen versuchen, den Verpflichtungen ihres Berufsstands zu entgehen. Die Grenzen zwischen sozialrechtlichen Regelungen und strafrechtlicher Verantwortlichkeit werden hiermit klarer definiert.
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