Umgrenzungsfunktion der Anklage: Eine Anklageschrift muss die angeklagten Taten so klar bezeichnen und insbesondere zeitlich abstecken, dass der Angeklagte nachvollziehen kann, was ihm überhaupt konkret vorgeworfen wird.
Es gilt im Hinblick auf die Umgrenzungsfunktion grundsätzlich: Eine Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion). Die begangene, konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam.
Umgrenzungsfunktion der Anklage
Die Umgrenzungsfunktion der Anklage dient also dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht auf Grund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Die Entscheidung darüber, ob eine gesonderte Tat angeklagt wird, obliegt dabei alleine der Staatsanwaltschaft, die ihre Entscheidung durch die Prozesserklärung in der Anklageschrift kundtun muss. Erforderlich ist in jedem Fall, dass die Anklageschrift den Verfolgungswillen hinsichtlich selbständiger Taten klar erkennen lässt (BGH, 2 StR 606/19).
Die Umgrenzungsfunktion erfordert in der Anklage neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (dazu BGH, 2 StR 524/10). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen (dazu nur BGH, 2 StR 242/16).
Die Schilderung muss im Hinblick auf die Umgrenzungsfunktion dabei umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (BGH, 4 StR 344/96). Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen – wie sich schon aus dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt – nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden (zusammenfassend zur Umgrenzungsfunktion insoweit auch BGH, 2 StR 478/19).
Die dogmatischen Hintergründe zur Umgrenzungsfunktion fasst Der Bundesgerichtshof (1 StR 370/17) im Übrigen so zusammen:
Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 91 Rn. 13).
Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN).
Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 Rn. 92). Denn es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, ist sie unwirksam (…).
Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher nur anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2007 – 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 mwN und vom 14. Februar 2007 – 3 StR 459/06, StraFo 2007, 290 mwN; Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 Rn. 1; Beschluss vom 20. Juli 1994 – 2 StR 321/94 mwN). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen wer- den (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11 aaO mwN; vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09 aaO Rn. 95 mwN und vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05 aaO).
BGH, 1 StR 370/17
Konkretes Beispiel für eine Anklageschrift ohne Wahrung der Umgrenzungsfunktion
Es gibt Fälle, in denen dies durchaus in Zweifel gezogen werden kann, wobei die Ansprüche nicht über zu strapazieren sind (was ein häufiger Fehler ist).
Der BGH (2 StR 533/13) hat sich nochmals hierzu geäußert: In diesem Fall ging es um ein mittelprächtiges Desaster, wobei nicht nachzuvollziehen ist, warum nicht einmal dem Gericht aufgefallen ist, dass man ganz andere Zeiträume abgeurteilt hat, als letztlich angeklagt waren:
Diesen Anforderungen wird die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage nicht gerecht. Der von der Strafkammer in den Fällen II. 66 bis 78 abgeurteilte Lebenssachverhalt wird weder im Anklagesatz noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen konkret beschrieben. Die Anklage teilt lediglich mit, der Angeklagte habe in einer Mehrzahl von Fällen seine als Honorararzt von Krankenhausbetreibern erzielten Einnahmen in Höhe von insgesamt 78.515 Euro dem bestellten Insolvenzverwalter nicht offengelegt.
Schon die Benennung des Tatzeitraums fehlt bzw. umfasst – soweit die Anklage noch vor den nachfolgenden Angaben im konkreten Anklagesatz einen Tatzeitraum vom 18. Dezember 2006 bis Ende 2010 nennt – ganz offensichtlich nicht die abgeurteilten in der Zeit vom 22. Februar 2011 bis August 2011 erfolgten Honorarauszahlungen. Die Taten sind auch nicht durch andere Umstände unverwechselbar umschrieben und daher ausreichend konkretisiert. Die Anklageschrift nennt weder die verschiedenen Krankenhäuser noch gibt sie Auskunft über konkret erzielte Honorare. Angesichts der fehlenden Angabe des Tatzeitraums und jedweder weitergehender Konkretisierung der Tathandlung ist auch die Mitteilung des Gesamtbetrags der Auszahlungen in Höhe von 78.515 Euro nicht geeignet, den angeklagten Lebenssachverhalt hinreichend zu individualisieren (vgl. dagegen Senat, Urteil vom 12. Februar 2014 – 2 StR 308/13).
Diese Ausführungen zeigen aber noch etwas: Bei der Auslegung des Anklagesatzes darf man nicht „mit Scheuklappen“ viel zu eng, geradezu mit dem Ziel der Unwirksamkeit, argumentieren. Vielmehr sind diverse Punkte bei der Auslegung und dem Verständnis hinzuzuziehen, so dass es schon sehr krasse Fälle sein müssen, in denen die Anklageschrift tatsächlich unwirksam ist.
Fazit: Umgrenzungsfunktion ernst nehmen – aber nicht übertreiben
Man sollte daher von allzu befremdlichen Würdigungen absehen, ich musste etwa einmal erleben, dass die Unwirksamkeit einer Anklage in Zweifel gezogen wurde, weil diese vom „schwärzen von Betäubungsmitteln“ sprach und die Verteidigung ausführte, der Mandant könne sich hierunter lediglich ein „schwarz anmalen“ vorstellen und eben nicht das Verbringen über die Grenze. Es dürfte sinnvoll sein, sich auf die Fälle zu konzentrieren, wo eine entsprechende Verteidigung auch wirklich Erfolg versprechend ist.
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