Das Oberlandesgericht Hamm (11 U 5/14) hat den presserechtlichen Auskunftsanspruch gestärkt:
Ein privates Unternehmen der Daseinsvorsorge, das durch die öffentliche Hand beherrscht wird, kann gem. § 4 des nordrhein-westfälischen Landespressegesetzes verpflichtet sein, einem Journalisten Auskunft über den Abschluss und die Abwicklung von Verträgen mit Dienstleistern zu erteilen, auch wenn durch die Auskunft Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens bekannt zu geben sind.
Hinsichtlich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse – die in diesem Bereich gerne als „Totschlagargument“ herangeführt werden, stellt das OLG recht übersichtlich dar, dass alleine die Tatsache, das wirtschaftlich bedeutsame Interna betroffen sind, für sich nicht zur Verweigerung ausreicht.
Aus der Entscheidung:
Insofern berufen sich die Beklagte und die Streithelferin ohne Erfolg darauf, dass sie durch die verlangte Auskunft Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bekanntgeben müssten, weil insbesondere Dritte aufgrund der verlangten Auskünfte die Kalkulation der beteiligten Dienstleistungsunternehmen erfahren und ihnen Nachteile bei künftigen Auftragsvergaben zufügen könnten.
Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können (vgl. BVerfG, NVwZ, 2006, S. 1041).
Die Auskünfte, die der Kläger verlangt, bringen die Bekanntgabe von Vertragskonditionen und Kalkulationen mit sich und sind daher grundsätzlich dem Bereich der Geschäftsgeheimnisse zuzuordnen. Indes kann ihrem Schutz kein genereller Vorrang vor den hier maßgeblichen Informationsrechten des Klägers eingeräumt werden. Denn § 4 Abs. 2 LPresseG NW ist unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter auszulegen. Der Auskunftsanspruch ist Ausfluss der verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verankerten Freiheit der Presse. Bei der Auslegung einer einfach rechtlichen Norm wie des § 4 Abs. 2 LPresseG NW ist die grundsätzliche Wertentscheidung zu berücksichtigen. Daher bedarf es – sowohl hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der privaten Interessen als auch des Überwiegens der öffentlichen Interessen – einer Abwägung der jeweils zu berücksichtigenden Belange im Einzelfall. Das Interesse der Presse an Offenlegung ist den gegenläufigen Interessen am Unterbleiben der Auskunft gegenüber zu stellen. Ist mit der Auskunft nur ein geringfügiger Eingriff in das Recht eines Privaten verbunden, so bedarf es keines zeitgeschichtlichen Interesses an der Information, um dieses als gerechtfertigt anzusehen. Demgegenüber muss das von der Presse verfolgte Interesse um so gewichtiger sein, um eine Auskunft zu legitimieren, je sensibler der Bereich ist, über den informiert wird und je detaillierter und weitergehend die begehrte Auskunft ist (vgl. OVG Münster, DVBL 2012, Seite 1113; DVBL 2014, Seite 464; VG Berlin, a. a. O.). Ein genereller Ausschluss von Geschäftsgeheimnissen vom Presseauskunftsanspruch wie eine Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses kommt nicht in Betracht (vgl. BVerwG, NVwZ 2015, S. 1388).
Im Rahmen der daher gebotenen Abwägung kommt den Interessen des Klägers ein größeres Gewicht zu als denjenigen der Beklagten und der betroffenen Dienstleistungsunternehmen einschließlich der Streithelferin. Der Verdacht einer indirekten Parteien- oder Wahlkampffinanzierung betrifft öffentliche Interessen von erheblichem Gewicht. Der Auskunftsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 LPresseG NW würde ausgehöhlt, wenn es ein insoweit in Verdacht geratenes öffentlich beherrschtes Unternehmen generell in der Hand hätte, durch Verweis auf Geschäftsgeheimnisse eine konkrete Überprüfung des Verdachts von vornherein zu verhindern.
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