Wenn das Passwort zur Vollmacht wird: Die Nutzung personenbezogener E-Mail-Konten im familiären Umfeld kann zu unerwarteten rechtlichen Konsequenzen führen, wie ein aktuelles Urteil des OLG Zweibrücken vom 15. Januar 2025 (Az. 1 U 20/24) eindrücklich zeigt. Hier hat eine scheinbar alltägliche Nutzung eines E-Mail-Accounts durch den Ehepartner zur Annahme einer Anscheinsvollmacht geführt – mit weitreichenden Folgen für die Vertragsbindung.
Sachverhalt
Die Klägerin verlangte von ihrer Wohngebäudeversicherung Ersatz von Folgeschäden nach einem massiven Leitungswasserschaden im Jahr 2011. Der Schaden war seinerzeit reguliert worden. In einer E-Mail vom 13. Juni 2014, die vom E-Mail-Account der Klägerin unter ihrem Namen versendet wurde, wurde ein Vergleich über 10.000 € vorgeschlagen, der auch potenzielle Folgeschäden umfassen sollte. Die Versicherung akzeptierte das Angebot durch Zahlung des Betrags.
Erst Jahre später – im Jahr 2020 – traten Schäden auf, die nach Auffassung der Klägerin auf den damaligen Wasseraustritt zurückzuführen waren. Sie erhob Klage mit der Begründung, die Vergleichs-E-Mail sei nicht von ihr, sondern ohne ihr Wissen von ihrem Ehemann verfasst worden, der hierzu nicht bevollmächtigt gewesen sei.
Rechtliche Analyse
1. Kein Anspruch wegen wirksamen Vergleichs
Das OLG Zweibrücken bestätigte die Vorinstanz: Die Klägerin sei durch den Vergleich vom 13.06./04.07.2014 wirksam gebunden. Der Vergleich habe eindeutig auch potenzielle Folgeschäden erfasst. Eine nachträgliche Geltendmachung sei nur in extremen Ausnahmefällen möglich – etwa bei einem krassen Missverhältnis zwischen Abfindung und Schaden oder bei unvorhersehbaren Spätfolgen:
Ist in einem Abfindungsvergleich – wie im Streitfall – klar und eindeutig ausgesprochen, dass die Parteien die Sache endgültig erledigen und auch etwaige Folgeschäden mitbereinigen wollen, so ist in der Regel jede Nachforderung ausgeschlossen. Der Anspruchsteller übernimmt mit einem solchen Vergleich gerade das Risiko, dass sich auch noch künftig Schäden realisieren können. Fallen die eingetretenen Veränderungen in den vom Versicherungsnehmer übernommenen Risikobereich, so muss er grundsätzlich auch bei erheblichen Opfern, wie sie sich später herausstellen, die Folgen tragen.
Damit ist es grundsätzlich nicht angängig, über den Weg einer ergänzenden Vertragsauslegung, des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder eines Vergleichsirrtums noch irgendwelche zusätzlichen Rechte geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1983, Az. VI ZR 176/81; BGH, Urteil vom 25.06.1957, Az. VI ZR 178/56; OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2010, Az. 9 U 104/10; OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2005, Az. 13 U 25/04; OLG Koblenz, Urteil vom 29.09.2003, Az. 12 U 854/02; jeweils Juris).
Ausnahmen hiervon sind wegen einer andernfalls unzulässigen Rechtsausübung lediglich dann zu machen, wenn aufgrund nicht voraussehbarer Spätfolgen ein krasses Missverhältnis zwischen dem erst nachträglich überschaubaren Schaden und der Abfindungssumme besteht und das Festhalten des Geschädigten an der Abfindungsvereinbarung eine unbillige Härte bedeuten würde (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.1990, Az. VI ZR 255/89; BGH, Urteil vom 12.07.1983, Az. VI ZR 176/81; OLG Schleswig, Urteil vom 30.08.2000, Az. 4 U 158/98).
2. Zurechnung des E-Mail-Handelns: Anscheinsvollmacht
Der wohl spannendste Teil ist dann die Frage einer Bevollmächtigung: Obwohl die Klägerin bestritt, die Vergleichs-E-Mail selbst verfasst zu haben, sah das Gericht sie als rechtlich verantwortlich. Maßgeblich war die Anwendung der Grundsätze der Anscheinsvollmacht (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB analog), wobei das OLG auf die schon seinerzeit in der “Halzband”-Entscheidung des BGH entwickelten Grundsätze zurückgriff.
Die Klägerin hatte ihrem Ehemann bewusst und dauerhaft Zugriff auf ihr passwortgeschütztes E-Mail-Konto gewährt. Dieser hatte in ihrem Namen bereits zuvor geschäftliche Kommunikation geführt. Die Beklagte durfte daher annehmen, dass der Ehemann zum Handeln berechtigt war. Der Anschein einer Bevollmächtigung wurde also von der Klägerin selbst gesetzt und begründet ihre Bindung an die Erklärung:
Von einer Anscheinsvollmacht ist nach herkömmlicher Rechtsprechung auszugehen, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters. Dabei greifen die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht in der Regel nur dann ein, wenn das Verhalten von gewisser Dauer und Häufigkeit ist (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2011, Az. VIII ZR 289/09, Rn. 16, Juris). Diese Voraussetzungen liegen für den Streitfall vor.
Aus objektiver Sicht des Erklärungsempfängers lag ein Angebot der Klägerin als der materiell Berechtigten vor, welches die Beklagte angenommen hatte. Das Angebot kam vom E-Mail Account der Klägerin und war mit Ihrem Namen unterzeichnet. Die Beklagte wurde dabei über die Identität des Handelnden getäuscht. Aus ihrer Sicht wollte sie den angebotenen Abfindungsvergleich ausschließlich mit der Klägerin als ihrer Versicherungsnehmerin schließen. Den falschen Anschein hatte die Klägerin gesetzt; dies in Form der Aushändigung von Legitimationsmerkmalen durch Preisgabe ihres Passworts für die Nutzerkennung (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2011, Az. VIII ZR 289/09, Juris: Leupold/Wiebe/Glossner, IT-Recht, 4. Aufl. 2021 Teil 5.1 Rn. 115 m.w.N.) Die Klägerin hat im Rahmen ihrer ergänzenden Befragung ausdrücklich eingeräumt, dass sie ihrem Ehemann die Zugangsdaten ihres passwortgeschütztes E-Mail Kontos willentlich offengelegt und dieser in der Vergangenheit häufig im Privat- wie Geschäftsverkehr ihr E-Mail Konto genutzt hatte, um in ihrem Namen rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben. Umgekehrt habe auch sie die passwortgeschützten Zugangsdaten für das E-Mail Konto ihres Mannes gekannt und dieses in gleicher Weise genutzt. Man habe da nicht unterschieden, wer welches E-Mail Konto nutze. Die Klägerin hätte indes unschwer erkennen können, in welcher Weise ihr Ehemann ihren E-Mail Account nutzte und welche Mails er unter ihrem Namen an wen verschickte.
3. Keine nachträgliche Lösung vom Vergleich
Ein Rücktritt vom Vergleich war ebenfalls nicht möglich. Weder lag eine sittenwidrige Übervorteilung vor, noch wurde eine unzumutbare Härte festgestellt. Die Klägerin konnte nicht belegen, dass ihr Folgeschäden im Millionenbereich tatsächlich drohten, noch war der Vergleich angesichts der bekannten Risiken aus Sicht eines objektiven Dritten unangemessen.
Ergebnis
Die Essenz der Entscheidung des OLG Zweibrücken (1 U 20/24) liegt in der klaren Anwendung des Instituts der Anscheinsvollmacht auf digitale Kommunikation. Wer Dritten – selbst Ehepartnern – Zugriff auf persönliche Kommunikationsmittel wie E-Mail-Konten gewährt, muss sich rechtsgeschäftliches Handeln zurechnen lassen.
Das Urteil mahnt zur erhöhten digitalen Sorgfalt im Geschäftsverkehr und verdeutlicht die vertragliche Endgültigkeit von Abfindungsvergleichen. Für Versicherungsnehmer gilt im Übrigen: Wer einmal „abschließend“ vergleicht, trägt das Risiko späterer Erkenntnisse – insbesondere, wenn die Vergleichsverhandlungen (auch vermeintlich) in seinem Namen geführt wurden.
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