Gerichtsstandsvereinbarungen sind unbemerkte kleine Helfer bei der ökonomischen Vorbereitung eventueller Streitigkeiten – sie bergen aber auch erhebliche prozessuale Fallstricke: Ein aktueller Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14.04.2025 (Az. 102 AR 20/25 e) illustriert eindrücklich die rechtlichen Feinheiten solcher Vereinbarungen, insbesondere im Kontext von Unternehmerbeziehungen, Vertreterhandlungen und dem prozessualen Missbrauch von Schutzvorschriften.
Im Zentrum steht die Frage: Wann ist eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam und unter welchen Umständen kann sich eine Partei auf deren Unwirksamkeit berufen?
Sachverhalt
Ein in München ansässiger Kläger machte gegen drei Beklagte eine Vertragsstrafe aus einer Vertraulichkeitsvereinbarung geltend. Diese sah im Falle von Verstößen gegen die Vertraulichkeitspflicht eine Pönale von jeweils 50.000 Euro vor. Die Beklagten zu 1) und 2) waren GmbHs mit zunächst unterschiedlichen Sitzorten; die Beklagte zu 3) war deren Geschäftsführer und handelte nach dem Vortrag des Klägers persönlich vertrags- und deliktswidrig. Die Vereinbarung enthielt eine Gerichtsstandsregelung zugunsten München oder Verden nach Wahl des Klägers. Die Beklagten stellten sich auf den Standpunkt, dass die Vereinbarung mangels Kaufmannseigenschaft des Klägers unwirksam sei.
Rechtliche Analyse
1. Maßstab der Prorogation: Kaufmannseigenschaft und ihre Beweislast
Das Gericht stellt zunächst klar, dass die Prorogationsfähigkeit im Sinne von § 38 Abs. 1 ZPO voraussetzt, dass beide Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kaufleute sind. Ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Handelsgewerbe i.S.d. § 1 HGB betrieb, blieb umstritten. Das Gericht betont, dass die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung den Kläger trifft – insbesondere, wenn es sich um Grenzfälle wie Versicherungsmakler oder -vertreter handelt.
2. Widersprüchliches Verhalten und § 242 BGB
Das BayObLG folgt einer bemerkenswerten dogmatischen Linie: Selbst wenn die Kaufmannseigenschaft des Klägers nicht zweifelsfrei feststellbar sei, sei es den Beklagten verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu berufen. Die Norm des § 38 ZPO schütze typischerweise die schwächere Vertragspartei – hier den Kläger. Ein Kaufmann könne sich daher nicht auf eine Schutzregelung berufen, die gerade nicht für ihn gedacht sei. Das Verhalten der Beklagten sei daher widersprüchlich und treuwidrig (vgl. § 242 BGB).
3. Streitgenossenschaft und Gerichtsstandbestimmung
Der Kläger verklagte alle drei Beklagten gemeinsam – dies führt zur Frage eines gemeinschaftlichen Gerichtsstands. Das Gericht differenziert sorgfältig: Während die Beklagten zu 1) und 2) als Vertragsparteien der Vertraulichkeitsvereinbarung einer Gerichtsstandsvereinbarung unterliegen, trifft dies auf den Beklagten zu 3) nicht zu. Dieser hatte lediglich als Vertreter unterzeichnet, nicht aber selbst eine Verpflichtung übernommen. Eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO war für ihn daher nicht möglich, eine deklaratorische ohnehin nicht.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des BayObLG (102 AR 20/25 e) markiert einen instruktiven Beitrag zur Fortbildung des Zivilprozessrechts. Ihre Kernaussage: Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten entfalten auch dann Wirkung, wenn die formellen Voraussetzungen nur einseitig zweifelhaft erfüllt sind – zumindest dann, wenn sich die kaufmännische Partei treuwidrig auf deren Unwirksamkeit beruft.
Gleichzeitig mahnt der Beschluss zur präzisen Vertragsgestaltung und klaren Dokumentation von Vertretungsverhältnissen. Für die Praxis bedeutet dies: Der Schutz durch § 38 ZPO ist asymmetrisch konzipiert – und darf nicht von der falschen Partei als Verteidigungsinstrument missbraucht werden.
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