Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 11. November 2024 (Az.: 19 U 200/24 e) beleuchtet in bemerkenswerter Weise die Rolle von Emojis und WhatsApp-Nachrichten im Vertragsrecht. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob und wie mittels Emojis ausgedrückte Aussagen rechtlich zu interpretieren sind, insbesondere im Hinblick auf den Rechtsbindungswillen.
Sachverhalt: Ein hochpreisiger Autokauf und Kommunikationsprobleme
Gegenstand des Verfahrens war ein Streit um die Rückzahlung einer Anzahlung in Höhe von 59.500 Euro für einen Ferrari SF90 Stradale. Nach Verzögerungen bei der Lieferung und gescheiterten Einigungen über neue Fristen traten beide Parteien vom Vertrag zurück. Der Kommunikationsverlauf zwischen den Parteien erfolgte größtenteils über WhatsApp und beinhaltete die Verwendung von Emojis, die im Prozess Gegenstand intensiver Auslegung wurden.
Rechtsfragen: Schriftform und die Bedeutung von Emojis
Das OLG München musste mehrere rechtliche Fragen klären:
- Erfüllung der Schriftform durch WhatsApp-Nachrichten: Gemäß § 127 Abs. 2 BGB kann die Schriftform durch telekommunikative Übermittlung erfüllt werden. Das Gericht stellte fest, dass WhatsApp-Nachrichten grundsätzlich die Anforderungen an die Schriftform erfüllen können, sofern sie dauerhaft gespeichert und reproduzierbar sind. Dies gilt jedoch nicht für Sprachnachrichten oder Videos.
- Auslegung von Emojis als Willenserklärung: Das Gericht analysierte die Nutzung verschiedener Emojis im Kontext des Chats. Emojis können laut dem OLG sowohl zur Verstärkung einer Aussage als auch zur Darstellung von Emotionen dienen. Entscheidend sei, wie ein verständiger Empfänger die Nachricht nach Treu und Glauben sowie unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte.
So führt das OLG hierzu im Detail aus:
Willenserklärungen können sowohl ausdrücklich – mündlich oder in schriftlicher Form – als auch konkludent – d.h. durch schlüssiges Verhalten – erfolgen. Bei Nachrichten, die per Messenger-dienst gesendet werden, handelt es sich um elektronisch übermittelte Willenserklärungen (…). Auch elektronische Erklärungen sind echte Willenserklärungen (…). Diese unterliegen den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre.
Der Erklärende kann seinen Willen mittels Zeichen kundtun (…), d.h. auch durch digitale Piktogramme – wie Emojis. Diese werden häufig genutzt, um eine Aussage zu unterstreichen oder zu verstärken oder sollen klarstellen, in welchem Sinne etwas zu verstehen ist (z.B. ironisch). In dieser Funktion erfüllen Emojis im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen (…). Teilweise werden aber auch Worte innerhalb eines Satzes durch ein Emoji ersetzt. Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, ist eine Frage der Auslegung (…).
Emojis besitzen als Zeichen Interpretationsmöglichkeiten, die heranzuziehen sind; dabei spielen allerdings nur solche eine Rolle, die der Empfänger auch verstehen konnte (…). Umstände, die dem Erklärungsempfänger weder bekannt noch erkennbar waren, bleiben außer Betracht (…). Faktoren wie Nationalität und Muttersprache, kultureller Hintergrund sowie Alter, Geschlecht oder Persönlichkeitsstruktur können sowohl die Nutzung als auch das Verständnis von Emojis beeinflussen, wobei sich besonders deutliche Einschnitte zwischen den Altersgruppen ergeben (…). Emojis bergen somit die Gefahr von Missverständnissen und Fehlschlüssen, weil die konkret verwendeten Symbole möglicherweise auf einem spezifischen „Emoji-Soziolekt“ beruhen, der bloß innerhalb einer bestimmten Gruppe existiert (…). Zu Bestimmung des Bedeutungsgehalts von Emojis kann der Rechtsanwender gegebenenfalls Emoji-Lexika zurate ziehen (…)
Emojis und ihre Bedeutung im konkreten Fall
Das Gericht beschäftigte sich eingehend mit drei spezifischen Emojis:
- „Grimassen schneidendes Gesicht“ (😬): Dieses Emoji wurde als Ausdruck von Verlegenheit oder Nervosität interpretiert, nicht jedoch als Zustimmung zu einer Fristverlängerung.
- „Daumen hoch“ (👍): Obwohl dieses Emoji häufig Zustimmung signalisiert, stellte das Gericht fest, dass es sich hier auf einen anderen Aspekt der Kommunikation bezog (die Bestätigung der Bestellung) und keine Zustimmung zur Verlängerung der Lieferfrist implizierte.
- „Grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“ (😄): Dieses Emoji wurde als Ausdruck allgemeiner Freude oder Hoffnung gedeutet, nicht aber als Zustimmung zu einer Fristverlängerung.
Das Gericht betonte, dass die Interpretation von Emojis stets den Kontext der gesamten Kommunikation und die erkennbaren Absichten der Parteien berücksichtigen muss.
Ausführungen des Gerichts im Detail
β) Eingedenk des Vorstehenden ist die Verwendung des Emojis in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 23.09.2021 nicht als Zustimmung zur Aussage des Beklagten in der Nachricht zuvor zu werten „Der SF 90 Stradale rutscht leider auf erstes Halbjahr 2022.“
Ausgehend von seiner in den gebräuchlichen Emoji-Lexika Emojipedia (https://emojipedia.org/de/grimassen-schneidendes-gesicht [abgerufen: 11.11.2024]) und Emojiterra (https://emojiterra.com/de/grimassen-schneidender-smiley [abgerufen: 11.11.2024]) angegebenen Bedeutung stellt der sog. „Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji (Unicode: U+1F62C) grundsätzlich negative oder gespannte Emotionen dar, besonders Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit. Dass die Parteien des Rechtsstreits – individuell oder aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – diesem eine davon abweichende Bedeutung beimaßen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zudem ist der spezifische Kontext zu berücksichtigen, in dem der Emoji verwendet wurde. Der daneben vom Kläger verwendete Ausdruck „Ups“ ist allenfalls als Ausruf der Überraschung oder des Erstaunens zu werten, keinesfalls ist damit eine zustimmende Aussage verbunden. Die folgende Aussage des Klägers ändert daran nichts mehr.
γ) Die Verwendung des Emojis in der Nachricht vom 29.09.2021 durch den Kläger hat ebenso nicht diesen, ihm vom Beklagten zugemessenen Bedeutungsinhalt.
Zwar signalisiert der sog. „Daumen hoch“-Emoji (Unicode: U+1F44D) – was dem Beklagten zuzugeben ist – laut der oben angegebenen Emoji-Lexika und in Übereistimmung mit dem überwiegenden Verständnis dieser Geste bei physischer Verwendung regelmäßig Zustimmung, Einverständnis oder Anerkennung. Die Nachricht bezog sich aber ersichtlich nicht mehr auf die erste Nachricht des Beklagten vom 23.09.2021, sondern die dazwischen geführte Konversation der Parteien am 28. und 29.09.2021 und diese drehte sich um die Umstände der Verbindlichkeit der Bestellung des Pkw und dessen Konfiguration – und in keiner Weise den Liefertermin.
δ) Selbst die klägerische WhatsApp-Nachricht vom 27.01.2022 unter Verwendung des Emojis ist nicht im vom Beklagten gewünschten Sinne auszulegen.
Der sog. „Grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“-Emoji (Unicode: U+1F604) hat in der Regel schon keine eindeutige Bedeutung. Er vermittelt laut Emoji-Lexika oftmals allgemeine Freude, Glücksgefühle, eine warme, positive Stimmung oder gutmütige Belustigung, kann aber auch Stolz oder Aufregung vermitteln.
Außerdem ist er vorliegend eingebettet in folgende Nachricht:
„Erstes Halbjahr hat angefangen. schon ein Lebenszeichen von Ferrari wann mit dem Auto zu rechnen ist?“
Dass dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass der Kläger nunmehr mit einer Verlängerung der Lieferfrist für den Pkw bis zum 30.06.2022 sein Einverständnis zum Ausdruck gebracht habe, ergibt sich aus nichts. Allenfalls kann darin der Ausdruck einer unspezifischen Vorfreude oder Hoffnung, keinesfalls auch nur ein Erklärungsbewusstsein des Klägers erkannt werden.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG München schafft wichtige Klarheit:
- Rechtsverbindlichkeit von WhatsApp-Kommunikation: WhatsApp-Nachrichten können, abhängig vom Inhalt und Kontext, rechtsverbindlich sein. Dies gilt insbesondere für Textnachrichten, weniger jedoch für andere Medienformen wie Sprachnachrichten.
- Emojis im rechtlichen Kontext: Emojis können unter Umständen eine Willenserklärung darstellen. Ihre Auslegung hängt jedoch stark vom Kontext und den Begleitumständen ab.
- Rechtsbindungswille im digitalen Zeitalter: Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Kommunikation bei geschäftlichen Verhandlungen über digitale Kanäle, da Missverständnisse erhebliche rechtliche Konsequenzen haben können.
Dabei hat der Bundesgerichtshof schon vor Jahren klargestellt, dass Piktogrammen rechtliche Bedeutung zukommen kann. Insoweit handelt es sich also um keine neue Erkenntnis – aber eine wichtige Entscheidung im Umgang mit rechtlicher Bedeutung von Alltagssprache, wozu Emojis nun einmal gehören.
Piktogramme bieten die Möglichkeit, komplexe Informationen alltagstauglich darzustellen. Gerade wenn es um die schnelle Informationsvermittlung, aber eben auch „einfache Sprache“ geht, sind sie längst ein wichtiges Werkzeug, auch im Rechtsverkehr. Das darf aber nicht davon ablenken, klare Aussagen zu treffen in der Vertragsabwicklung – sonst kommt es zu unnötigen Streitigkeiten.
Fazit
Das Urteil des OLG München ist duchaus ein Meilenstein: Es verdeutlicht in allem notwendigen Tiefgang, dass Emojis nicht nur spielerische Elemente der Kommunikation sind, sondern auch eine ernstzunehmende Rolle in der juristischen Bewertung von Willenserklärungen spielen können. Für Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen ist dies ein Weckruf, ihre digitale Kommunikation bewusster und klarer zu gestalten, jedenfalls um Streit zu vermeiden.
Piktogrammen, seien es stilvolle Zeichen oder bunte Emojis, kommen längst rechtliche Bedeutungen zu. Es gilt aber auch der Grundsatz: Je einfacher, je kürzer eine Kommunikation in einem geschäftlichen Kontext ist, umso missverständlicher wird es sein. Gerade Unternehmen sollten also darauf achten, immer klare Worte zu wählen, auch wenn wir in einer Zeit wählen, in der so etwas schnell hart wirken kann. Wer aber klare Positionen bezieht, vermeidet (teure) Missverständnisse.
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