OLG Hamm zur rechtsmissbräuchlichen Abmahntätigkeit im Wettbewerbsrecht

Wenn Vertragsstrafen zu Geschäftsmodellen werden: Die zivilprozessuale Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche ist in besonderem Maße anfällig für strategischen Missbrauch. Insbesondere die Möglichkeit, durch Abmahnungen mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen systematisch Vertragsstrafen zu generieren, lädt dazu ein, das Wettbewerbsrecht in ein lukratives Geschäftsmodell zu überführen.

Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in seinem Urteil vom 4. Juni 2024 (Az. 4 U 247/22) in bemerkenswerter Klarheit mit den Grenzen solcher Praktiken auseinandergesetzt. Die Entscheidung konkretisiert, unter welchen Umständen die Geltendmachung einer Vertragsstrafe trotz eines objektiven Wettbewerbsverstoßes als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist – und rückt dabei speziell die wirtschaftlichen Hintergründe der Abmahntätigkeit in den Fokus.

Sachverhalt

Ausgangspunkt des Verfahrens war eine bereits im Jahr 2020 abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung eines Onlinehändlers, der auf der Plattform eBay gewerblich Tätigkeiten entfaltete. Nachdem er sich zuvor zur Unterlassung bestimmter fehlerhafter Preisangaben verpflichtet hatte, kam es einige Monate später zu einem weiteren Verstoß durch irreführende Angaben zum Grundpreis eines Produkts. Der Mitbewerber, der die ursprüngliche Abmahnung ausgesprochen hatte, machte daraufhin die vereinbarte Vertragsstrafe geltend. Der abgemahnte Händler verweigerte die Zahlung unter Hinweis auf einen Rechtsmissbrauch des Anspruchstellers, dem es – so der Vortrag – nicht primär um Lauterkeit im Wettbewerb, sondern um die Generierung von Vertragsstrafen gehe.

Das Landgericht gab dem Kläger zunächst recht. Das OLG Hamm wies die Klage hingegen ab und stellte fest, dass die Geltendmachung der Vertragsstrafe wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 8c Abs. 1 UWG unzulässig war.

Rechtliche Bewertung

Zentrale dogmatische Grundlage der Entscheidung ist § 8c UWG, der nach der UWG-Reform 2020 das bisher richterrechtlich entwickelte Instrument des Rechtsmissbrauchs normiert und konkretisiert. Die Vorschrift normiert eine widerlegliche Vermutung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, wenn bestimmte Umstände – etwa ein überwiegendes Gebühreninteresse, eine Vielzahl von Verstößen oder ein systematisch unangemessenes Vorgehen – vorliegen.

Das OLG Hamm unterstreicht, dass sich die Beurteilung der Missbräuchlichkeit nicht allein auf das Abmahnverhalten, sondern auch auf die spätere Verfolgung der Vertragsstrafe erstreckt. Dabei sei zu würdigen, ob das Vorgehen insgesamt dem Zweck des Lauterkeitsrechts diene oder vorrangig auf wirtschaftliche Vorteile durch Vertragsstrafen abziele. Im konkreten Fall hatte der Kläger in einem Zeitraum von rund zwei Jahren über 200 Abmahnungen ausgesprochen und dabei ein systematisch arbeitendes Kontroll- und Dokumentationswesen etabliert. Auch wurden Vertragsstrafen – insbesondere in niedrigen dreistelligen Euro-Bereichen – regelmäßig eingefordert. Die wirtschaftlichen Erträge aus dieser Tätigkeit standen in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit einem ernsthaft betriebenen eigenen Geschäftsbetrieb. Das OLG sah es deshalb als erwiesen an, dass der Kläger die Abmahntätigkeit als eigenständige Einkommensquelle ausgestaltet hatte, ohne ein redliches wettbewerbliches Interesse an der Einhaltung der Marktregeln zu verfolgen.

Besonderes Augenmerk verdient die differenzierende Würdigung des Senats, wonach es für die Annahme eines Missbrauchs nicht darauf ankommt, ob der Vertragsstrafe eine objektive Zuwiderhandlung zugrunde liegt. Vielmehr kann selbst ein berechtigter Vertragsstrafenfall rechtsmissbräuchlich verfolgt werden, wenn die Anspruchsdurchsetzung nicht primär dem Zweck der Wiederherstellung lauterer Wettbewerbsverhältnisse, sondern der wirtschaftlichen Ausbeutung des Unterlassungsvertrags dient. Der Bezug auf § 8c UWG dient dabei nicht nur der Einhegung des Abmahnwesens, sondern schützt auch vor einer Entgrenzung privater Rechtsverfolgung zu Zwecken, die mit dem Lauterkeitsrecht systemfremd sind.

Nicht zuletzt betont das Gericht, dass der Vertragsstrafe – anders als der erstmaligen Abmahnung – keine Schutzmechanismen wie die formale Kostenbegrenzung des § 13 Abs. 4 UWG gegenüberstehen. Umso bedeutsamer sei es, das Instrument nicht zur beliebigen Sanktionsquelle zu pervertieren. Die Beweisaufnahme bestätigte den Eindruck eines strukturell auf Einnahmeerzielung angelegten Vorgehens des Klägers. Das bloße Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses sei in solchen Fällen nicht ausreichend, um das Verhalten noch als lauterkeitsrechtlich motiviert anzusehen.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Abmahntätigkeit, die als eigenständiges Geschäftsmodell betrieben wird, läuft Gefahr, den Charakter eines ernsthaften wettbewerblichen Engagements zu verlieren – mit der Folge, dass sie nicht nur unanständig, sondern auch unwirksam wird. Für die Praxis bedeutet dies eine erhöhte Prüfungspflicht bei der Durchsetzung von Vertragsstrafen: Wer das Lauterkeitsrecht zur Einnahmeerzielung verwendet, riskiert seine Legitimität – und damit die Durchsetzbarkeit seiner Ansprüche.

Fazit

Mit seiner Entscheidung zur rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung einer Vertragsstrafe setzt das OLG Hamm ein deutliches Signal gegen die kommerzielle Instrumentalisierung des Lauterkeitsrechts. Sie stärkt die Funktion des § 8c UWG als Korrektiv gegenüber missbräuchlicher Rechtsverfolgung und betont, dass auch objektiv bestehende Ansprüche auf Vertragsstrafen der inhaltlichen Kontrolle unterliegen.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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Unsere Anwaltskanzlei ist spezialisiert auf Strafverteidigung, Cybercrime, Wirtschaftsstrafrecht samt Steuerstrafrecht sowie IT-Recht und Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen übernommen - wir sind im Raum Aachen zu finden und bundesweit tätig.
Rechtsanwalt Jens Ferner
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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