Kabotage im Fokus: Persönliche Haftung im Ordnungswidrigkeitenverfahren

OLG Köln zur Verantwortlichkeit des Geschäftsführers einer Logistikfirma: Mit Beschluss vom 24. April 2025 (Az. 1 ORbs 30/25) hat das in einem bußgeldrechtlichen Verfahren grundlegende Aussagen zur Auslegung des Begriffs der Kabotage nach Art. 8 VO (EG) Nr. 1072/2009 getroffen und dabei zugleich die Frage der persönlichen Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers als natürliche Person beleuchtet.

Die Entscheidung ragt insbesondere deshalb heraus, weil sie die individuelle Haftung eines Organs bei Verstößen gegen europarechtlich determinierte Marktordnungsregeln des Güterkraftverkehrs zum Gegenstand macht – ein Thema, das in der Praxis hochrelevant, rechtlich aber nicht durchgängig geklärt ist.

Worum ging es?

Ausgangspunkt war eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 2a Nr. 3 GüKG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1072/2009. Gegenstand der Beanstandung war eine sogenannte Kabotageüberschreitung – also die Durchführung mehrerer inländischer Transportfahrten durch ein ausländisches Unternehmen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Lieferung. Konkret war das betroffene Fahrzeug – mit polnischem Kennzeichen – auf einer Kontrollstelle der A2 in Nordrhein-Westfalen überprüft worden. Dabei stellte sich heraus, dass innerhalb von sieben Tagen mehrere Beförderungen zu unterschiedlichen Empfängern erfolgt waren, was die zulässige Zahl von Kabotagebeförderungen überschritt.

Das Amtsgericht hatte gegen den der beteiligten Logistikfirma persönlich eine Geldbuße in Höhe von 1.250 Euro verhängt. Seine Verantwortlichkeit wurde aus weiteren, zuvor abgeschlossenen Ordnungswidrigkeitenverfahren abgeleitet. Diese betreffen ebenfalls Kabotageverstöße und wurden mit rechtskräftigen Bußgeldbescheiden abgeschlossen. Das OLG Köln hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück – nicht weil ein Verstoß gegen die Kabotagevorschriften per se ausgeschlossen wäre, sondern weil die Zurechnung dieses Verstoßes an die Person des Geschäftsführers nicht tragfähig begründet worden war.

Haftung des Geschäftsführers bei Ordnungswidrigkeiten

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht somit die dogmatische Frage, wann ein Geschäftsführer für Handlungen, die dem Unternehmen zur Last gelegt werden, selbst bußgeldrechtlich verantwortlich ist. Das Gericht nimmt dazu eine differenzierte Analyse anhand von § 9 OWiG vor. Nach dieser Vorschrift kann ein für eine juristische Person handelndes Organ – hier also der Geschäftsführer – bußgeldrechtlich belangt werden, wenn es in Ausübung seiner Leitungstätigkeit eine tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen oder zugelassen hat. Das OLG betont allerdings, dass sich eine solche Verantwortlichkeit nicht automatisch aus der Organstellung ergibt. Vielmehr ist erforderlich, dass die betroffene Person nachweislich in die konkrete Tat eingebunden war oder ihr pflichtwidriges Unterlassen kausal für den Verstoß war.

Diese Individualisierung der Verantwortlichkeit ist auch deshalb von Bedeutung, weil die zugrunde liegende Verordnung selbst keine unmittelbare Organhaftung statuiert, sondern allein das Verkehrsunternehmen adressiert. Soll also nicht das Unternehmen, sondern dessen Repräsentant in Anspruch genommen werden, muss die Voraussetzungen des § 9 OWiG stringent erfüllt sein. Dies setzt voraus, dass die Tat dem Organ individuell zugerechnet werden kann, etwa durch konkrete Weisungen, eine Überwachungsobliegenheit oder durch Organisationsversagen.

Kritik des OLG

Genau hier setzt die Kritik des OLG an: Die vom Amtsgericht herangezogene Argumentation stützt sich wesentlich auf andere, gegen denselben Geschäftsführer gerichtete Bußgeldbescheide – allerdings wurden diese erst nach dem hier verfahrensgegenständlichen Vorfall rechtskräftig. Es fehlte somit an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, der Betroffene habe durch frühere Verfahren die notwendige Einsicht oder Kenntnis erlangt, um daraus Pflichten für sein späteres Verhalten abzuleiten. Zudem ließ das Amtsgericht offen, ob dem Geschäftsführer die Verstöße, auf die es sich stützte, überhaupt inhaltlich bekannt waren oder ob sie bloß im Namen der juristischen Person ergangen waren.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Kabotage?

Dogmatisch ist hervorzuheben, dass das OLG ausdrücklich betont, die Unbestimmtheit eines normativen Begriffs wie „Kabotage“ ändere nichts an der hinreichenden Bestimmtheit der Bußgeldvorschrift. Der Begriff sei durch die Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, insbesondere des Bundesamts für Logistik und Mobilität, hinreichend konkretisiert. Damit stellt das Gericht zugleich klar, dass die Einhaltung solcher normativen Vorgaben auch in einem so dynamischen Feld wie dem europäischen Binnenverkehr prinzipiell bußgeldfähig bleibt – vorausgesetzt, die persönliche Verantwortung wird rechtsstaatlich sauber hergeleitet.

Fazit

Das OLG lässt die eigentliche Tatfrage – also ob tatsächlich eine unzulässige Kabotagebeförderung vorlag – unentschieden. Es legt jedoch überzeugend dar, dass allein die Annahme organisatorischer Gesamtverantwortung durch ein Geschäftsführungsorgan nicht genügt, um daraus automatisch eine bußgeldrechtliche Haftung abzuleiten. Vielmehr verlangt die rechtsstaatliche Dogmatik eine individualisierte Zurechnung, die auf Tatsachen beruht und sich nicht im Rückgriff auf allgemeine Leitungsfunktionen erschöpft.

Mit seiner Entscheidung mahnt das OLG Köln zur juristischen Präzision in der Frage persönlicher Haftung für Unternehmensverstöße – insbesondere in einem europarechtlich überlagerten Kontext wie dem grenzüberschreitenden Güterverkehr. Die Verhängung von Bußgeldern gegen Geschäftsführer darf nicht zur pauschalen Repressionsmaßnahme werden, sondern setzt eine sorgfältige Begründung und Tatsachenermittlung voraus. Die Entscheidung markiert daher eine bedeutsame Klarstellung im Spannungsfeld zwischen Unternehmensverantwortung und individueller Rechtsstaatlichkeit.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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