OLG Hamm zum Scheitern der Individualklage gegen RWE wegen Klimaschäden

Eigentumsschutz und Klimahaftung: Mit Beschluss vom 28. November 2023 (Az. I-5 U 15/21) hat das Oberlandesgericht Hamm in dem Verfahren „Lliuya gegen RWE“ über eine der prominentesten Klimaklagen in Europa entschieden – und diese Idee einer “Klimawandelschaden-” auf der Ebene des deutschen Zivilprozessrechts im Allgemeinen (noch) scheitern lassen, dabei aber zugleich den Weg bereitet.

Der Kläger, ein peruanischer Landwirt, hatte gegen den Energiekonzern Schadensersatz geltend gemacht, weil die von RWE emittierten Treibhausgase zur Gletscherschmelze beigetragen hätten, wodurch sein Eigentum in Huaraz durch einen möglichen Gletscherseeausbruch konkret gefährdet sei. Das Gericht wies die Klage unter Verweis auf die fehlende hinreichende Substantiierung des geltend gemachten Eigentumseingriffs zurück, ließ jedoch zugleich offen, ob eine deliktische Haftung für Beiträge zur globalen Erwärmung dem Grunde nach denkbar ist. Damit bleibt das Verfahren ein bemerkenswerter Prüfstein für die Grenzen der Zivilrechtsdogmatik im Zeitalter des Anthropozäns und wird nicht zu Unrecht auch positiv aufgenommen.

Dogmatischer Ausgangspunkt: § 1004 Abs. 1 BGB und der Abwehranspruch bei klimabedingter Eigentumsgefährdung

Im Mittelpunkt der Klage stand der Eigentumsschutz nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB. Der Kläger machte geltend, dass sein Eigentum in Peru durch die konkrete Gefahr einer Gletscherflut beeinträchtigt werde – eine Gefahr, die wesentlich durch den Klimawandel ausgelöst worden sei. Die emissionsverursachende Tätigkeit von RWE sei insoweit (mit)ursächlich für den Temperaturanstieg und damit für die Gletscherschmelze. Erforderlich wäre demnach ein Abwehranspruch gegen eine Eigentumsbeeinträchtigung, die auf einem rechtswidrigen, zurechenbaren Verhalten beruht.

Das OLG lässt die Möglichkeit einer solchen Konstellation nicht grundsätzlich unberührt. Der Senat betont, dass der Eigentumsschutz nicht auf unmittelbare Eingriffe beschränkt ist, sondern auch mittelbare Beeinträchtigungen durch komplexe Kausalverläufe einschließen kann – jedenfalls in rechtlicher Hinsicht. Es sei „nicht von vornherein ausgeschlossen“, dass eine Beeinträchtigung durch den Klimawandel dem Handeln einzelner Emittenten zumindest anteilig zurechenbar sei. Dies bedeutet nicht weniger als die grundsätzliche dogmatische Öffnung der deliktischen Haftung für klimainduzierte Eigentumsgefahren – allerdings unter hohen Begründungsanforderungen.

Substantiierungsanforderungen und globale Kausalität

Der Knackpunkt der Entscheidung liegt – wie in Klimahaftungsklagen häufig – in der Frage der Kausalität und der Substantiierungspflicht. Das OLG Hamm verlangt vom Kläger einen nachvollziehbaren, wissenschaftlich fundierten Vortrag dazu, wie genau die von RWE verursachten Emissionen (etwa 0,47 % der globalen Gesamtemissionen seit Beginn der Industrialisierung) in einem naturwissenschaftlichen Sinn zur konkreten Gefährdung des Eigentums beigetragen haben. Zwar könne es keine absolute Kausalität geben, wohl aber eine mit hoher Wahrscheinlichkeit belegbare Mitverursachung. Entscheidend sei, ob sich aus wissenschaftlichen Klimamodellen – etwa im Sinne des „fractional attribution“ – ableiten lasse, dass und in welchem Umfang der konkrete Beitrag von RWE zur globalen Erwärmung sich auf die hydrologische Situation am Gletschersee bei Huaraz auswirkt.

Diese Anforderungen sieht das Gericht – zumindest in diesem Stadium – nicht erfüllt. Der Sachvortrag sei nicht hinreichend konkretisiert, um die Zurechnung der behaupteten Eigentumsgefährdung zur Tätigkeit von RWE anzunehmen. Zwar sei eine weitere Sachaufklärung nicht ausgeschlossen, doch die Beweisanträge seien bislang nicht auf eine präzise Tatsachenbasis gestützt. Damit bleibe es bei einer mangelhaften Darlegungslast – auch wenn das Gericht dem Grundanliegen der Klage grundsätzlich mit offener Haltung begegnet.

Gesellschaftlicher Kontext: Klimahaftung zwischen Rechtspolitik und Justizrealität

Die Entscheidung des OLG Hamm steht exemplarisch für das Spannungsfeld, in dem sich Klimahaftungsklagen heute bewegen. Einerseits zeigt der Fall, dass Zivilgerichte bereit sind, die dogmatische Möglichkeit einer deliktischen Haftung wegen Klimawirkungen ernsthaft zu erwägen. Der Rückgriff auf § 1004 BGB, ergänzt durch deliktische Zurechnungsnormen, wäre in einer hinreichend bestimmten Einzelfallkonstellation denkbar – jedenfalls, wenn sich die Gefährdung mit vertretbarem wissenschaftlichem Aufwand konkretisieren lässt.

Andererseits bleibt das OLG Hamm der traditionellen Funktion des Zivilprozesses als Instrument zur Durchsetzung individualisierter Rechte verpflichtet. Die Transformation kollektiver, globaler Gefährdungslagen in justiziable Individualansprüche bleibt ein konzeptionelles Problem: Das Zivilrecht kennt keine aggregierte Verantwortung für systemische Risiken. Die Entscheidung macht deutlich, dass Klimaansprüche, um in diesem Rechtsrahmen durchdringen zu können, in eine konkrete, darlegbare und überprüfbare Beziehung zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung übersetzt werden müssen – ein schwieriges Unterfangen angesichts globaler Interdependenzen.

Verfassungsrechtlicher Hintergrund und internationale Entwicklungen

Vor dem Hintergrund der jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (insb. BVerfG, Urt. v. 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18) und der Rechtsprechung internationaler Gerichte (wie dem EGMR in „Verein KlimaSeniorinnen Schweiz“) erhält der Fall Lliuya gegen RWE besondere Relevanz. Zwar unterscheiden sich die verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen – individualrechtlicher Eigentumsschutz versus staatliche Klimaschutzpflichten –, doch der Druck auf das Zivilrecht wächst. Auch auf europäischer Ebene zeigt der EuGH mit der Rechtsprechung zur Umweltverbandsklage (vgl. „People’s Climate Case“), dass die Frage der Kausalität im Kontext staatlicher Klimaziele zunehmend dynamisch interpretiert wird.

In diesem Lichte betrachtet, steht das Urteil des OLG Hamm exemplarisch für einen Umbruch: Es ist keine grundsätzliche Ablehnung der Klimahaftung, sondern eine methodisch präzise Zurückweisung mangels Substantiierung. Das zivilrechtliche Erkenntnisverfahren bleibt einem traditionellen Verständnis von Tatsachen- und treu, signalisiert jedoch Offenheit für dogmatische Weiterentwicklungen, sofern der Sachvortrag den gerichtlichen Anforderungen genügt.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Don’t Look Up

Dieses Verfahren war erst der Anfang – wir müssen uns darauf einstellen, dass in den kommenden Jahren weitere, ähnlich gelagerte Klimaklagen folgen werden. Und zwar nicht nur von Betroffenen aus Europa, sondern zunehmend von Menschen aus dem globalen Süden, die vor den Gerichten des globalen Nordens Gerechtigkeit für Ihre vollkommen berechtigten Anliegen suchen. Der Fall Lliuya hat dabei auf schmerzliche Weise offengelegt, dass unsere Justiz auf solche komplexen, transnationalen Verfahren weder organisatorisch noch prozessual vorbereitet ist: Der immense Zeitaufwand, die unüberschaubaren Kosten und der enorme Ressourcenverbrauch sprechen für sich.

Wir stehen vor der Herausforderung, unser Rechtssystem klima- und globalisierungskompatibel zu machen – nicht nur technisch, sondern auch im Denken. Ständiges Wegsehen hilft nicht. Wer heute noch glaubt, wir könnten den alten Zustand wiederherstellen, macht sich etwas vor; das ist nicht nur eine Frage humanistischen sondern vor allem auch rationalen Denkens -> ‘Don’t Look Up‘ mag als Netflix-Satire begonnen haben – im Gerichtssaal wird daraus bitterer Ernst. Wir müssen den Blick heben, zuhören, handeln und uns als Gesellschaft neu sortieren. Die Welt wird nicht mehr so sein wie früher. Und das ist nicht nur eine juristische, sondern eine wissenschaftlich fundierte zivilisatorische Wahrheit. Aus eben dem Grund schreibe ich hier auch hin und wieder zu dem Thema, auch wenn ich mich in diesem Bereich in praktischer Tätigkeit ausschließlich mit dem Umweltstrafrecht beschäftige … es geht uns alle an.

Konklusion

Die Entscheidung des OLG Hamm ist juristisch konservativ, aber rechtsdogmatisch anschlussfähig. Sie weist die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE ab, weil die behauptete Eigentumsbeeinträchtigung durch den Klimawandel nicht hinreichend konkret dargelegt wurde – nicht, weil eine solche Haftung grundsätzlich unzulässig wäre. Damit markiert sie den Beginn weiterer zu erwartender Schritte.

Damit markiert der Beschluss einen juristischen Meilenstein im Spannungsfeld zwischen individueller Anspruchsprüfung und globalem Klimarisiko. Die Klimahaftung ist damit nicht gescheitert – sie ist lediglich in die nächste Phase ihrer dogmatischen Herausbildung eingetreten. Der Fall Lliuya bleibt Symbol und Labor zugleich: für die Grenzen des Zivilrechts, aber auch für dessen mögliche Erweiterung im Zeichen des planetaren Zeitalters.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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