Jugendpornographie und Selbstabbildung

BGH zur Mittäterschaft bei jugendpornographischen Schriften: In einem sensiblen und rechtlich vielschichtigen Bereich hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 5. Juni 2024 (Az. 5 StR 441/23) klargestellt, unter welchen Voraussetzungen die Herstellung jugendpornographischer Schriften nach § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB durch mehrere Beteiligte auch bei Eigenabbildung des jugendlichen Täters strafbar bleibt. Die Entscheidung konkretisiert damit nicht nur das Verständnis der Mittäterschaft, sondern auch die Reichweite des Privilegierungstatbestandes des § 184c Abs. 4 StGB.

Sachverhalt

Die Nebenklägerin, zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt, vollzog auf Wunsch des Angeklagten und eines weiteren Jugendlichen Oralverkehr, der mit dem Mobiltelefon des Dritten in acht Sequenzen aufgenommen wurde. Der Angeklagte selbst filmte nicht, war aber anwesend, griff in das Geschehen ein und schob etwa die Hand der Nebenklägerin beiseite, die ihr Gesicht verdecken wollte. Zudem befanden sich die Videos sowohl auf dem Handy des Filmenden als auch auf dem des Angeklagten. Das Landgericht hatte hierin eine mittäterschaftliche Herstellung jugendpornographischer Schriften durch den Angeklagten gesehen (§ 25 Abs. 2 StGB i.V.m. § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Der BGH hat das Urteil im Schuldspruch aufgehoben, weil die Feststellungen des Landgerichts für eine Zurechnung der Tathandlung im Wege der Mittäterschaft nicht ausreichen.

Strafrechtliche Einordnung

Begriff des „Herstellens“

Zentral ist zunächst die Definition der Herstellung einer jugendpornographischen Schrift. Der Begriff ist technisch zu verstehen: Es geht um die bildliche Fixierung auf einem Datenträger. Diese kann auch durch mittelbare Täterschaft oder Mittäterschaft erfüllt werden – also nicht nur durch denjenigen, der physisch das Aufnahmegerät bedient.

Anforderungen an die Mittäterschaft

Die Jugendkammer hatte dem Angeklagten die Tatbestandsverwirklichung durch Mittäterschaft zugerechnet. Der BGH beanstandet diese Annahme als nicht tragfähig. Zwar sei das bloße Nicht-Filmende keine Hürde für eine Täterschaft, jedoch müssten konkrete Anhaltspunkte für ein arbeitsteiliges Zusammenwirken auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans bestehen. Der Grad des Interesses am Taterfolg, der Umfang der Beteiligung und ein Wille zur Tatherrschaft sind wesentliche Kriterien. Die Feststellung, der Angeklagte habe die Aufnahme „gebilligt“ oder „zur Kenntnis genommen“, reiche hierfür nicht. Dass er etwa die Hand der Nebenklägerin beiseite schob, könne auch Ausdruck anderer Intentionen sein.

Der BGH betont damit die Dogmatik der Mittäterschaft: Strafrechtlich relevante Mitwirkung setzt nicht bloß Anwesenheit oder stillschweigende Duldung voraus, sondern aktives, auf den Taterfolg ausgerichtetes Handeln.

Selbstabbildung und § 184c Abs. 4 StGB

Eine zentrale Frage des Falls betrifft den Umstand, dass der Angeklagte selbst jugendlich war und in den Videos teilweise zu sehen ist. Nach verbreiteter Auffassung (und auch laut Gesetzesmaterialien) kann sich ein jugendlicher Beteiligter nicht wegen Herstellung jugendpornographischer Schriften strafbar machen, wenn er lediglich sich selbst abbildet. Der BGH stellt jedoch klar: Soweit in den Aufnahmen auch andere Jugendliche abgebildet sind – wie hier die Nebenklägerin – greift diese Privilegierung nicht mehr. Die Herstellung verletzt dann fremde, nicht disponierbare Rechtsgüter.

Dem liegt ein funktionales Verständnis zugrunde: Der jugendliche Täter wird nicht durch seine eigene Darstellung bestraft, sondern durch das rechtsgutsverletzende Verhalten gegenüber einer anderen, ebenfalls geschützten Person.

Tatbestandsausschluss gemäß § 184c Abs. 4 StGB

Der BGH gibt dem Tatgericht für die neue auf, sorgfältig zu prüfen, ob eventuell ein Tatbestandsausschluss nach § 184c Abs. 4 StGB vorliegt. Dieser greift nur dann ein, wenn die Aufnahmen ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Beteiligten hergestellt wurden und eine wirksame Einwilligung des Abgebildeten vorliegt.

Letzteres erfordert Einsichtsfähigkeit und die Freiheit der Willensbildung. Die Feststellungen lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Nebenklägerin die Tragweite der Aufzeichnung verstand und der Aufnahme ohne Druck und Täuschung zustimmte. Auch wäre die Privilegierung ausgeschlossen, wenn bereits bei Herstellung eine spätere Weitergabe oder Verbreitung – etwa durch Speichern auf dem Handy eines Dritten – geplant oder in Kauf genommen wurde.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Die Essenz der Entscheidung liegt in der dogmatisch sauberen Trennung zwischen straflosem Eigenabbild und strafbarer Beteiligung an der Darstellung fremder Jugendlicher – sowie in der Betonung substantieller Anforderungen an Mittäterschaft. Sie markiert einen bedeutsamen Beitrag zur rechtlichen Bewältigung digital vermittelter Sexualdelinquenz im Jugendbereich.

Ergebnis

Der BGH hebt die Verurteilung auf, weil der Schuldspruch nicht tragfähig begründet ist. Die Sache wird an das Amtsgericht Zittau – Jugendrichter – zurückverwiesen, da keine besondere sachliche Zuständigkeit der Strafkammer mehr erforderlich ist. Der Senat nutzt die Gelegenheit, um die Anforderungen an eine täterschaftliche Beteiligung und die Grenzen der Selbstabbildung im Bereich jugendpornographischer Inhalte klar herauszuarbeiten.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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