Hemmung der Unterbrechungsfristen im Strafprozess wegen der Corona-Pandemie

Der Bundestag hat am 25.03.2020 eine Änderung des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung beschlossen, damit Strafprozesse problemloser pausiert werden können.

Hinweis: Die Regelung wurde am 27.03.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet (Link hier) und gilt damit seit dem 28.03.2020.

SO wird in §10 EGSTPO geschrieben werden:

§ 10 Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen

(1) Unabhängig von der Dauer der ist der Lauf der in § 229 Absatz 1 und 2 der Strafprozessordnung genannten Unterbrechungsfristen gehemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate; diese Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Be- schluss fest.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die in § 268 Absatz 3 Satz 2 der Strafprozessordnung genannte Frist zur Urteilsverkündung.

Geplanter §10 EGSTPO

Da Vorsitzende Richter an Landgerichten in Strafsachen zu einer gewissen Nervosität in diesen Fragen neigen, sei vorab darauf hingewiesen, dass entsprechend §336 Satz 2 dieser Beschluss nicht der revisionsrechtlichen Prüfung unterliegt.

Weiter Tatbestand

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass dieser Tatbestand laut Begründung bewusst weit gefasst wurde und sämtliche Gründe abdeckt, die „der ordnungsgemäßen Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen der Gerichte und Gesundheitsbehörden entgegenstehen“. Da der Fall der Krankheit bereits von § 229 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 StPO erfasst ist, muss also auch keine Erkrankung vorliegen, was sicherlich erst einmal oft falsch verstanden werden wird – wohl aber jeglicher Verdachtsfall und jede angeordnete Quarantäne dann im Umkehrschluss schon ausreicht. Sollte ein Beteiligter positiv getestet sein, gilt sodann:

Handelt es sich um eine festgestellte SARS-CoV-2-Infektion, liegt allerdings zugleich aufgrund der in einem solchen Fall zwingend erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen der neue Hemmungstatbestand des § 10 Absatz 1 StPOEG vor mit der Folge, dass die Hemmung der für jede Hauptverhandlung unabhän- gig von ihrer bisherigen Dauer eintritt.

Drucksache 19/18110, Seite 33

Was ist festzustellen?

Es gilt: Das Gericht prüft – wie in den Fällen des § 229 Absatz 3 Satz 1 StPO – grundsätzlich im Freibeweisverfahren, ob, ab wann und bis wann der Hemmungstatbestand vorliegt, also gibt es auch hier keine überhöhten Anforderungen. Ein Hindernis für die Durchführung der Hauptverhandlung liegt dabei auch vor, wenn es nur mittelbar auf gerichtlichen oder gesundheitsbehördlichen Schutzmaßnahmen beruht!

Ausweislich der Gesetzesbegründung kann sich die Unmöglichkeit der Durchführung der Hauptverhandlung insbesondere aus folgenden Gründen ergeben:

  • eingeschränkter Gerichtsbetrieb
  • Beteiligung zur Risikogruppe gehörender Personen, wie beispielsweise ältere Personen, Personen mit Grunderkrankungen oder einem unterdrückten Immunsystem
  • Anordnungen und Empfehlungen der Gerichtsverwaltung
  • Anordnungen und Empfehlungen der Gesundheitsbehörden
  • Wenn ein Gericht auf Notbetrieb geschaltet hat
  • Wenn die Abstände zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht eingehalten werden können oder sich Personen in häuslicher Quarantäne befinden oder bei Durchführung der Verhandlung potentiell gefährdet werden.

Möglichkeiten der Verteidiger

Selbstverständlich besteht hier nun auch ein intendiertes Ermessen, was bedeutet, dass – unanfechtbarer Beschluss hin oder her – entsprechenden Anträgen der Verteidigung nachgegangen werden muss. Insbesondere muss geprüft werden, warum einem Aussetzungsantrag nicht nachgegangen wird. Vorsitzende sollten dabei im Auge haben, dass der Beschluss zur Annahme einer Verzögerung zwar unanfechtbar ist und damit nicht der Revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt; die Versagung einer Vertagung dagegen ist es nach herbeigeführtem Gerichtsbeschluss gleichwohl. Insoweit mag ein Argument dafür streiten, dass der Gesetzgeber offenkundig eine grosszügige Handhabung haben wollte.

Maximale Dauer der Unterbrechung

Eine Hauptverhandlung kann mit dieser Regelung für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, wobei das Gericht – wie eingangs dargestellt – Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss feststellt.

Eine Bitte an die Gerichte

Lassen Sie Augenmaß walten! Denken Sie nicht nur an die Beteiligte wie (Staats-)Anwälte und Richter, sondern vor allem auch an Zeugen – und inhaftierte Angeklagte. Gerade in Richtung der JVAen mit der sehr rudimentären Krankenversorgung muss die Infektionskette klein gehalten werden. Eine geringe Verhandlungsdichte ist hier nicht nur bei den OLGen vertretbar sondern infektionstechnisch geboten. In den Gewahrsamszellen und Transporten drängen sich Infektsituationen auf und das Risiko, dass ein unerkannt Erkrankter einen JVA-Inhaftierten infiziert, der in den „Mikrokosmos JVA“ dann den Infekt einschleppt muss als lebensbedrohende Situation gesehen werden – ein Grund warum derzeit auch Haftsituationen in NRW Vorzeit unterbrochen werden. Bitte unterschätzen Sie dies nicht, halten Sie die Verhandlungsdichte und damit die Kontaktpunkte klein (auch wenn andere Sachen platzen und sich gerade eine Verdichtung der Verhandlungstage organisatorisch nachvollziehbar aufdrängt – daher meine dringend bittenden Zeilen).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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