Die Justiz in NRW erwacht in der Corona-Krise immer mehr aus Ihrem ursprünglichen Dornröschenschlaf und reagiert nun im Hinblick auf die hochbrisante Situation in Justizvollzugsanstalten. Denn: Entgegen einer verbreiteten – eher dümmlichen – Meinung hat der Durchschnitts-Aufenthalt in einer JVA recht wenig mit einem Hotel zu tun, besonders nicht, wenn es um die ärztliche Versorgung geht, die selbst unter üblichen Bedingungen schon auf dünnem Eis steht.
Platz schaffen durch Unterbrechungen
Nunmehr versucht man Platz in den Gefängnissen zu schaffen – angesichts des Risikos, wenn in einem solchen in sich geschlossenen “Mikrokosmos” ein Virus ausbricht, durchaus sinnvoll: Mit einem aktuellen Erlass des Justizministeriums NRW werden die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen daher so agieren, dass
- für sämtliche Gefangene der Vollzug unterbrochen wird, die im Moment unter Vollstreckungsleitung einer nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaft eine Ersatzfreiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu 18 Monaten verbüßen – vorausgesetzt ihre Entlassung steht in der Zeit vom 20.03.2020 bis zum 31.07.2020 an;
- die Ladung zum Haftantritt für noch nicht angetretene Freiheitsstrafen von bis zu 12 Monaten soll vorerst verschoben werden;
- alle Ladungen von Personen, gegen die eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden soll oder gegen die Jugendarrest verhängt worden ist, sollen bis auf weiteres ausgesetzt werden. Ausgenommen davon ist der “Warnarrest”, dessen Vollstreckung an zeitliche Fristen gebunden ist.
Zahlreiche Ausnahmen vorgesehen
Es gibt eine Vielzahl von Ausnahmen, so kommt eine Unterbrechung nicht in Betracht, wenn
- eine Freiheitsstrafe wegen einer der im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs aufgeführten Straftaten verhängt wurde (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung),
- gegen den Gefangenen oder die Gefangene während der laufenden Inhaftierung nach dem 1. Januar 2020 Arrest als Disziplinarmaßnahme verhängt worden ist,
- der/die Gefangene entwichen oder vom Urlaub, Ausgang, Freigang oder von einer Strafunterbrechung nicht oder schuldhaft mit erheblicher Verspätung zurückgekehrt ist,
- dem/der Gefangenen zur Last gelegt wird, während des Vollzuges oder einer Strafunterbrechung eine Straftat begangen zu haben,
- die Wohnung, die gesundheitliche Versorgung oder der Lebensunterhalt der/des Gefangenen nicht gesichert ist,
- der/die Gefangene sich in einer therapeutischen Behandlung befindet, oder
- ausländerrechtliche Maßnahmen geplant sind.
Problem Wiederkehr
Was wie ein Geschenk klingt, ist aber nur eine Unterbrechung – es bleibt abzuwarten, wie sich dies Gesellschaftlich auswirkt. In der Tat sollten viele, die zwischen dem 20.03.2020 und dem 31.07.2020 in Haft sind, im offenen Vollzug sitzen oder eine reststrafenfähige Bewährung im Raum des Möglichen haben.
Bei ersteren stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit, bei letzteren wird man im Regelfall entweder aus Gründen, die eine Versagung nach obigem Katalog darstellen, von einer Bewährung abgesehen haben (so dass keine Entlassung in Betracht kommt) oder der Inhaftierte möchte ganz bewusst “Endstrafe machen”, um unbelastet sein Leben fortzuführen. Die Vorzeitige Entlassung und der Zwang, sodann wiederzukehren und später den Rest abzusitzen, schafft damit eine recht hässliche Schwebelage, die die üblichen Maßnahmen (gesicherte eigene Wohnung suchen, Job suchen, soziales Netz aufbauen) ziemlich tüchtig torpedieren dürfte.
Es bleibt ein wenig der Eindruck, dass hier Häftlinge wie Inventar verplant und verschoben werden, nicht nur zu Lasten der Inhaftierten, sondern ganz besonders auch zu Lasten der Gesellschaft.