Fahrpersonalverordnung: Was sind handwerklich hergestellte Güter

Das Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 123/22, konnte sich der Frage, wann es sich um „handwerklich hergestellte Güter“ i.S. der Ausnahmeregelung des Art. 3 Buchst. aa) Unterbuchst. ii) der VO (EG) 561/2006 handelt, widmen. Dabei hob das OLG hervor, dass

  1. dieser Terminus weder in der Verordnung noch in den weiteren Verweisungsvorschriften näher geregelt ist;
  2. eine Übertragung der deutschen Regelungen zu Handwerksbetrieben, insbesondere der Handwerksordnung, ist aufgrund der gemeinschafts- und unionsrechtlichen Prägung des Tatbestandes nicht ohne weiteres möglich ist und der Umstand, ob ein Betrieb der Handwerksordnung unterliegt und als Meisterbetrieb in der Handwerksrolle eingetragen ist, damit kein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellt;

Im Ergebnis kommt das OLG dahin, dass vielmehr die allgemeinen Auslegungsregeln bei Ordnungswidrigkeiten eine Rolle spielen und der Tatbestand (in seiner Funktion als Ausnahmevorschrift) grundsätzlich eng auszulegen ist:

Die hier streitgegenständliche Frage, wann es sich um „handwerklich hergestellte Güter“ handelt, ist weder in der Verordnung noch in den weiteren Verweisungsvorschriften näher geregelt. Auch insoweit ist daher eine Auslegung der Begriffe vorzunehmen. Eine Übertragung der deutschen Regelungen zu Handwerksbetrieben, insbesondere der Handwerksordnung, ist dabei … aufgrund der gemeinschafts- und unionsrechtlichen Prägung des Tatbestandes nicht ohne weiteres möglich, da eine Vielzahl nationaler Rechtsordnungen in Europa zulassungspflichtige Tätigkeiten im Handwerk nicht kennen (vgl. § 9 HwO). Der Umstand, dass der Betrieb der Handwerksordnung unterliegt und als Meisterbetrieb in der Handwerksrolle eingetragen ist, ist daher kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Maßgeblich sind vielmehr die allgemeinen Auslegungsregeln, wozu insbesondere die Zielsetzung des Normgebers zählt (BVerwG, Urteil vom 17.06.2020, a.a.O., Rn. 11, 16). Als Ausnahmevorschrift ist der Tatbestand grundsätzlich eng auszulegen (OVG Münster, Urteil vom 06.10.2020, a.a.O., Rn. 30).

aa) Nach dem Wortlaut sind handwerklich hergestellte Güter solche, die – jedenfalls überwiegend – von Hand hergestellt werden. Dies deckt sich auch mit den Formulierungen in der englischen („goods which are produced on a craft basis“) und der fanzösischen („marchandises fabriquées de manière artisanale“) Fassung der Verordnung. Aufgrund der fortschreitenden technischen Entwicklung ist dabei die unterstützende Verwendung von Maschinen unschädlich, solange der Schwerpunkt der Arbeit eigenhändig durchgeführt wird.

Bereits dazu finden sich in dem angefochtenen Urteil keine ausreichenden Feststellungen. Alleine der Umfang der hergestellten Waren mit 70.000 Brötchen und 3.000 Broten täglich legt zwar eine Unterstützung durch technische Geräte nahe. Gesicherte Feststellungen zu den konkreten Arbeitsabläufen ergeben sich daraus jedoch nicht. So würde eine überwiegend automatisierte Fertigung der Backwaren und eine ausgeprägte Arbeitsteilung durch auf einzelne Arbeitsschritte spezialisierte Arbeitskräfte eher für eine industrielle Fertigung sprechen. Manuelle Handarbeit durch umfassend handwerklich ausgebildete Mitarbeiter und die Mitarbeit und Begleitung des gesamten Arbeitsprozesses durch den Inhaber legt eher eine handwerkliche Fertigung nahe.

bb) Neben den hergestellten Gütern ist … auch der herstellende Betrieb in den Blick zu nehmen. Dafür spricht der Sinn und Zweck des Fahrpersonalgesetzes einerseits und der Ausnahmeregelung in Art. 3 Buchst. aa) Unterbuchst. ii) der VO (EG) 561/2006 andererseits. Das Fahrpersonalgesetz soll für den gewerblichen Güter- und Personenverkehr auf den Straßen Mindestarbeitsbedingungen festlegen (BT-Drs. VI/1060 S. 1). Davon ausgenommen sind u.a. solche Betriebe, bei denen aufgrund der Struktur das Missbrauchsrisiko von vornherein gering ist. Deshalb stellt die Ausnahmevorschrift in Art. 3 Buchst. aa) Unterbuchst. ii) der VO (EG) 561/2006 neben der Art der beförderten Güter auch auf das Gewicht des Fahrzeugs bis 7,5 t, den Radius der bis 100 km und den Tätigkeitskreis des Fahrers ab. All dies trifft in der Regel auf kleinere regionale Handwerksbetriebe zu, für die eine weitere Bürokratisierung vermieden werden soll. Dies deckt sich mit der für Fahrer inhaltlich an Art. 3 der VO (EG) Nr. 561/2006 angelehnten Ausnahmevorschrift in § 1 Abs. 2 Nr. 3 a FPersV, die solche Fahrzeuge ausnimmt, die „zur Beförderung von Gütern, die im Betrieb, dem der Fahrer angehört, in handwerklicher Fertigung oder Kleinserie hergestellt wurden“.

Der Umfang der hergestellten Waren ist für die Abgrenzung somit auch hier ein wichtiges Indiz. Daneben sind aber auch weitere Faktoren relevant. Für einen Industriebetrieb sprechen z.B. ein großer Personaleinssatz, hohe Umsätze und eine überregionale Ausrichtung. Handwerkliche Prägung liegt etwa bei der Mitarbeit von Familienmitgliedern, persönlicher Kenntnis der Abnehmer und überwiegend regionaler Verhaftung nahe. Auch dazu wird in dem angefochtenen Urteil nichts näher ausgeführt.

cc) Insgesamt hat das Amtsgericht weder zu den Arbeitsabläufen in dem von dem Betroffenen vertretenen Betrieb noch zu dessen Arbeitsfeld und Betriebsgröße ausreichende Feststellungen getroffen. Der Senat kann damit nicht beurteilten, ob der Betroffene die Ausnahmeregelung des Art. 3 Bucht. aa) Unterbuchst. ii) VO (EG) 561/2006 für sich in Anspruch nehmen kann und damit von der Verpflichtung der Verwendung der Schaublätter befreit war.

Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 123/22
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Strafverteidigung, dem IT-Recht und Arbeitsrecht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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