Dass das Finanzamt faktisch einen Anspruch gegenüber der Staatsanwaltschaft hat, Einsicht in laufende STrafakten zu nehmen, hat das BayObLG mit Beschluss vom 20.12.2021 (203 VAs 389/21) klargestellt:
Das Finanzamt … als öffentliche Stelle hat gegenüber der Staatsanwaltschaft … einen Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG.
a) Nach § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO dürfen Auskünfte aus Akten an öffentliche Stellen erteilt werden, soweit diesen Stellen in sonstigen Fällen auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürfen oder soweit nach einer Übermittlung von Amts wegen die Übermittlung weiterer personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Die erbetenen Auskünfte können auch durch Überlassung von Kopien aus den Akten erteilt werden (§ 478 StPO).
Die Staatsanwaltschaft darf die Auskünfte auch aufgrund einer „besonderen Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG, die „dies vorsieht oder zwingend voraussetzt“, erteilen.
b) Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Antragsteller zur Mitwirkung bei der Ermittlung des dem Besteuerungsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts verpflichtet und hat dazu nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere die ihm bekannten Beweismittel anzugeben, nach § 90 Abs. 2 Satz 1 AO bei – wie hier – auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereiches der Abgabenordnung sich beziehenden Beweismitteln diese sogar zu beschaffen. Umgekehrt hat das Finanzamt nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und kann sich dazu nach § 92 Satz 1 AO aller erforderlichen Beweismittel bedienen, insbesondere nach §§ 92 Satz 2 Nr. 1, 93 AO Auskünfte jeder Art von den Beteiligten und anderen Personen einholen oder sich nach §§ 92 Satz 2 Nr. 3, 97 AO Urkunden vorlegen lassen. In diesem Rahmen kann es auch die Staatsanwaltschaft nach § 111 Abs. 1 Satz 1 AO um Amtshilfe ersuchen, wobei die Staatsanwaltschaft insoweit nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist (§ 105 Abs. 1 AO) und auch das Steuergeheimnis nicht entgegensteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1a) AO). Die Finanzbehörde muss sich also nicht darauf verlassen, dass der Steuerpflichtige freiwillig relevante Dokumente vollständig herausgibt.
Dies begründet (dem OLG Karlsruhe folgend, Beschluss vom 02.10.2013, Az.: 2 VAs 78/13 …) die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, dem Finanzamt die erbetenen Auskünfte zu erteilen, soweit diese für den Zweck der Durchführung des Besteuerungsverfahrens erforderlich sind. Darüber hinaus kann diese Verpflichtung auch auf § 393 Abs. 3 AO gestützt werden (BT-Drs. 16/6290 S. 82), der die Zulässigkeit der Weitergabe strafrechtlicher Ermittlungsergebnisse von der Staatsanwaltschaft an die Finanzbehörde für das Besteuerungsverfahren zwingend voraussetzt (vgl. dazu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.10.2013, Az.: 2 VAs 78/13 … sowie BFH, Beschluss vom 24.04.2013, Az.: VII B 202/12).
Aufgrund dieser gesetzlichen Grundlagen hat das Finanzamt … dem Grunde nach einen Anspruch gegenüber der Staatsanwaltschaft … auf Auskunftserteilung.
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