Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 10. Januar 2024 (Az. 6 StR 324/23) wichtige Klarstellungen zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB gemacht. Die Entscheidung wirft Licht auf die komplexen Anforderungen an die Beurteilung der Freiwilligkeit in solchen Situationen.
Sachverhalt
Der Fall betraf einen versuchten Mord, bei dem der Angeklagte die Nebenklägerin mit einem Hammer schwer verletzte, aber von weiteren Handlungen absah und Hilfe herbeirief. Die Sachverständigen diagnostizierten eine schwere andere seelische Störung des Angeklagten, die eine verminderte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit begründete.
Entscheidung des BGH
Der BGH bestätigte das Urteil des Landgerichts Würzburg, das den Angeklagten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilte und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnete. Der BGH lehnte einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch ab, da der Angeklagte in einem Schockzustand gehandelt hatte und ihm der gefühlte „innere seelische Druck“ keine andere Handlungsalternative ließ.
Analyse des BGH
Der BGH betonte, dass die Bewertung der Freiwilligkeit bei einem beendeten Versuch dieselben rechtlichen Maßstäbe erfordert wie bei einem unbeendeten Versuch. Entscheidend ist, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert:
Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) sind grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301; vom 11. Juni 1987 – 4 StR 31/87, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 5; SK/Jäger, StGB, 9. Aufl., § 24 Rn. 98; LK/Murmann, 13. Aufl., § 24 Rn. 367; NK/Engländer, StGB, 6. Aufl., § 24 Rn. 53).
Entscheidend ist auch in diesen Fällen, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran kann es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war (…).
Rechtsfehlerfrei hat die sachverständig beratene Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte die Rettungskette erzwungenermaßen in Gang gesetzt und deshalb den Erfolg nicht freiwillig verhindert hat (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB). Bei der zum Zeitpunkt der Ansprache von Zeugen vorliegenden akuten Belastungsreaktion hatte sich eine so große panische Angst und ein großer innerer Druck aufgebaut, dass er zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war.
In diesem Fall war der Angeklagte aufgrund seines psychischen Zustandes also nicht mehr in der Lage zu selbstbestimmtem Handeln, weshalb der Rücktritt als nicht freiwillig betrachtet wurde.
Fazit
Diese Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung des psychischen Zustands des Täters bei der Beurteilung des Rücktritts vom beendeten Versuch. Es muss die seelische Verfassung des Täters sorgfältig geprüft werden, um zu beurteilen, ob der Rücktritt freiwillig erfolgte. Diese komplexe Bewertung erfordert oft eine genaue Analyse der Umstände des Einzelfalls und gegebenenfalls eine sachverständige Begutachtung. Zugleich zeigt sich, wie genau die Umstände, die Laien als Entschuldigung heranziehen möchten, von unseren Gerichten gegen diese verwendet werden.
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