Vorstellung eines Zeugen über kartellrechtliche Haftungsfolgen

Erörtert das Tatgericht die Vorstellung eines Zeugen von kartellrechtlichen Haftungsfolgen im Kontext der Würdigung seiner Aussagemotivation nicht, obwohl nach den Urteilsgründen dazu Anlass besteht, liegt ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel vor.

Ein solcher Anlass besteht mit dem BGH (KRB 54/22), wenn das Gericht bei der Beweiswürdigung auf Angaben des Zeugen zur Sache abstellt, aus denen sich nicht nur ein Wettbewerbsverstoß, sondern auch das – jedenfalls laienhafte – Bewusstsein des Zeugen von damit verbundenen Haftungsfolgen ergibt:

Die Vernehmung eines gemäß § 73 Abs. 1 OWiG zum Erscheinen in der verpflichteten Betroffenen zur Sache erfolgt gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 243 Abs. 5 Satz 2 nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 StPO, also grundsätzlich durch mündliche Befragung und mündliche Antworten.

Dennoch ist die Verlesung einer schriftlichen Erklärung des Betroffenen durch einen Vertreter, die dem gesetzlichen Leitbild widerstreitet, per se zulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 17/03, NStZ 2004, 163 [juris Rn. 4]; vom 30. Oktober 2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476 [juris Rn. 6]; vom 29. Dezember 2014 – 2 StR 29/14, NStZ 2015, 418 Rn. 12). Darf das Gericht – wie hier – gemäß § 73 Abs. 2 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen verhandeln, ist eine Einlassung des Verteidigers mit Vertretungsvollmacht (§ 234 StPO) für den Betroffenen in jeder Form statthaft, mithin auch durch die Verlesung einer Erklärung. Anders als bei Verlesung des Schriftstücks durch das Gericht (§ 249 Abs. 1 StPO) wird in diesem Fall allerdings nicht der Wortlaut der zum Inbegriff der Hauptverhandlung und stellt deren Wortlaut nicht den revisionsrechtlichen Maßstab zur Überprüfung der Beweiswürdigung dar (vgl. BGH, NStZ 2004, 163 [juris Rn. 3]; Urteil vom 20. September 2018 – 3 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 190 Rn. 14).

Gegenstand der Hauptverhandlung ist vielmehr allein der mündliche Vortrag des Betroffenenvertreters geworden. Der Aufgabe des Tatrichters entspricht es in diesem Fall, wie auch bei anderen Beweisergebnissen, den Inhalt dieser mündlich vorgetragenen Einlassung festzustellen, in den Urteilsgründen wiederzugeben und im erforderlichen Umfang zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1991 – 2 StR 45/91, BGHSt 38, 14 [juris Rn. 6]; NStZ 2004, 163 [juris Rn. 3]). Im Bußgeldverfahren gilt nichts Abweichendes.

BGH, KRB 54/22
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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