Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung von Wertersatzeinziehungen bei Entreicherung des Verurteilten

In seiner Entscheidung vom 7. Juni 2024 (Az.: 5 Ws 47/24) befasste sich das Kammergericht (KG) Berlin eingehend mit der Anwendung des § 459g Abs. 5 , insbesondere in Bezug auf die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung von Wertersatzeinziehungen bei Entreicherung des Verurteilten.

Hintergrund des Falls

Der Verurteilte war wegen gemeinschaftlich begangenen Computerbetrugs verurteilt worden. Neben der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe ordnete das Landgericht Berlin die des Wertes von Taterträgen in Höhe von ca. 12,3 Millionen Euro an, obwohl dem Verurteilten letztlich nur ein Anteil von 165.000 Euro direkt verblieben war. Der Großteil des Geldes wurde tatplangemäß an Mitbeteiligte weitergeleitet.

Der Verurteilte beantragte nach § 459g Abs. 5 StPO, von der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung abzusehen, da er durch die Weiterleitung des Taterlöses entreichert sei und die Vollstreckung unverhältnismäßig wäre. Außerdem führte er an, dass er den Betrag nicht aufbringen könne und durch die Vollstreckung in den finanziellen Ruin getrieben werde.

Anwendung von § 459g Abs. 5 StPO

Das KG Berlin wies den Antrag zurück und führte in seiner Entscheidung wesentliche Punkte zur Anwendung des § 459g Abs. 5 StPO aus:

  1. Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung: § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO sieht vor, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unterbleibt, wenn sie unverhältnismäßig wäre. Unverhältnismäßig ist die Vollstreckung, wenn sie aufgrund besonderer Umstände eine besondere Härte mit sich bringt, die außerhalb des eigentlichen Einziehungszwecks liegt und dem Verurteilten nicht zugemutet werden kann.
  2. Entreicherung als Härtefall: Der Fall der Entreicherung, also dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Verurteilten vorhanden ist, kann grundsätzlich bei der Prüfung der Unverhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Jedoch stellte das Gericht klar, dass dies nur in Ausnahmefällen geschehen kann. Beispiele für solche Ausnahmefälle wären etwa schicksalhafte Ereignisse wie schwere Krankheit oder der Verlust des Vermögens durch unverschuldete Umstände.
  3. Verschiebung von Taterlösen: In Fällen, in denen der Verurteilte die Taterlöse planmäßig an Mittäter weiterleitet, wie es hier der Fall war, liegt keine Entreicherung vor, die eine Unverhältnismäßigkeit begründet. Das KG Berlin betonte, dass eine solche Weiterleitung von Taterlösen nicht dazu führt, dass der Verurteilte von der Einziehung verschont bleibt. Der Verurteilte könne sich nicht darauf berufen, dass er das erlangte Geld nicht mehr besitze.
  4. Gleichlauf von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren: Das Gericht stellte zudem fest, dass es widersprüchlich wäre, im Erkenntnisverfahren die Einziehung des Gesamtbetrags anzuordnen, im Vollstreckungsverfahren jedoch nur den tatsächlich verbliebenen Betrag zu vollstrecken. Der Gesetzgeber orientierte sich an den Wertungen des Bereicherungsrechts (§§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB), die eine unbeschränkte Haftung des bösgläubigen Bereicherungsschuldners vorsehen. Entsprechend kann auch im Fall einer Weitergabe des erlangten Betrags vollstreckt werden.
  5. Pfändungsschutz und Resozialisierung: Der Verurteilte kann sich nur in besonderen Ausnahmefällen auf die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung berufen. Der Staat bietet durch die zivilprozessualen Pfändungsvorschriften und die Vorschriften der StPO, wie § 459c Abs. 2 StPO, ausreichenden Schutz vor übermäßiger Belastung des Verurteilten.
  6. Praktische Folgen für den Verurteilten: Das Gericht berücksichtigte die finanzielle und berufliche Lage des Verurteilten, sah jedoch keine konkrete seines wirtschaftlichen Fortbestehens durch die Vollstreckung. Es betonte, dass die Möglichkeit besteht, den Mittäter auf zivilrechtlichem Weg nach § 426 BGB auf Ausgleich in Anspruch zu nehmen.

Fazit

Das KG Berlin stellte klar, dass § 459g Abs. 5 StPO nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen kann, wenn eine besondere Härte durch die Vollstreckung vorliegt. Die Entreicherung infolge der planmäßigen Weitergabe von Taterlösen an Mittäter führt nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber hat bewusst entschieden, dass in solchen Fällen weiterhin vollstreckt werden kann, um inkriminiertes Vermögen effektiv abzuschöpfen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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