Am 22. März 2024 traf der Bundesgerichtshof eine beachtliche Entscheidung in einer Zivilsache (BGH, I ZR 88/23), die wesentliche Fragen der Rechtsprechung zu Online-Glücksspielen, insbesondere zu Sportwetten und auch deren Strafbarkeit, berührte. Diese Entscheidung gibt Aufschluss darüber, wie deutsche Gerichte mit unerlaubten Glücksspielangeboten umgehen, die ohne die erforderliche staatliche Konzession betrieben werden.
Sachverhalt
Der Fall betraf einen österreichischen Anbieter von Sportwetten, der auf seiner Online-Plattform Sportwetten anbot, ohne über die nach dem deutschen Glücksspielstaatsvertrag erforderliche Konzession zu verfügen. Ein Kunde, der im fraglichen Zeitraum Wetten bei diesem Anbieter platzierte und Verluste erlitt, forderte die Rückzahlung seiner Einsätze unter Berufung auf die Illegalität des Angebots.
Juristische Bewertung und Entscheidung des BGH
Grundsätzliches zum Glücksspiel
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sowie die Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verboten.
Das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verboten. Ein Erlaubnisvorbehalt für öffentliche Glücksspiele im Internet besteht nach § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 für den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten, nicht jedoch für sonstige öffentliche Glücksspiele wie insbesondere Casino- und Automatenspiele. Für Sportwetten sieht § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 eine entsprechende Anwendung des Verbots nach § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 vor; allerdings ermöglicht § 4a Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 die Erteilung einer Konzession im Rahmen der sog. Experimentierklausel des § 10a GlüStV 2012. Diese räumt dem Konzessionär nach näherer Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 GlüStV 2012 das Recht ein, abweichend vom Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 Sportwetten auch im Internet zu veranstalten und zu vermitteln.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 liegt ein Glücksspiel vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Nach Satz 2 ist die Entscheidung über den Gewinn jedenfalls dann vom Zufall abhängig, wenn sie vom ungewissen Eintritt oder Ausgang künftiger Ereignisse abhängt. Unter den Begriff des Glücksspiels fallen nach Satz 3 auch Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses. Satz 4 definiert Sportwetten als Wetten zu festen Gewinnquoten auf den Ausgang von Sportereignissen oder Teilen von Sportereignissen. Öffentlich ist ein Glücksspiel nach § 3 Abs. 2 GlüStV 2012, wenn die Teilnahmemöglichkeit für einen größeren, nicht geschlossenen Personenkreis besteht oder es sich um Glücksspiele handelt, die üblicherweise in Vereinen oder anderen geschlossenen Gesellschaften veranstaltet werden.
Anwendung auf den Fall
Der BGH stellte fest, dass die Verträge über die Sportwetten nichtig sind, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen – eine klare Anwendung von § 134 BGB. Interessant ist, dass der BGH auch die Frage der Strafbarkeit gemäß § 284 StGB ansprach, der die unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen unter Strafe stellt.
Laut BGH ist dieses Gesetz „verwaltungsakzessorisch“ ausgestaltet, was bedeutet, dass bereits das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis grundsätzlich den Tatbestand erfüllt, unabhängig davon, ob die Erlaubnis materiell hätte erteilt werden müssen oder nicht. Eine strafrechtliche Sanktionierung für ein Verhalten, das einer verwaltungsrechtlichen Anforderung nicht entspricht, ist demnach zulässig, es sei denn, die Anforderung selbst verletzt EU-Recht:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 284 StGB, der die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels unter Strafe stellt, verwaltungsakzessorisch ausgestaltet, so dass grundsätzlich bereits das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis den Tatbestand ungeachtet einer möglichen materiellrechtlichen Genehmigungsfähigkeit erfüllt. Ein Sachverhalt, bei dem die Erlaubnis erteilt werden könnte oder gar müsste, begründet keinen Tatbestandsausschluss (vgl. BGH, ZfWG 2020, 352 [juris Rn. 16]).
Diese Erwägung gilt auch in den Fällen, in denen der Betroffene nicht nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Genehmigungsantrag, sondern sogar auf die Erteilung der Genehmigung selbst hat (vgl. BGH, ZfWG 2020, 352 [juris Rn. 18]). Stellt sich im Nachhinein die Rechtswidrigkeit der Versagung der Genehmigung heraus oder erteilt die Behörde nachträglich eine Genehmigung, so ist regelmäßig kein Strafaufhebungsgrund gegeben, der trotz Tatbestandserfüllung und Rechtswidrigkeit des genehmigungslosen Verhaltens die Strafbarkeit nachträglich entfallen ließe (vgl. BGH, ZfWG 2020, 352 [juris Rn. 19]). Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Betroffene verwaltungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt hat, die ihrerseits gegen das Unionsrecht verstoßen (vgl. BGH, ZfWG 2020, 352 [juris Rn. 34]). Denn nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts darf kein Mitgliedstaat eine strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten verhängen, mit dem
der Betroffene einer verwaltungsrechtlichen Anforderung nicht genügt hat, wenn der Mitgliedstaat die Erfüllung der Anforderung unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat (vgl. EuGH, ZfWG 2016, 115 [juris Rn. 94] – Ince).
Kritische Betrachtung und Implikationen
Diese Entscheidung unterstreicht die strenge Linie, die deutsche Gerichte gegenüber nicht konzessionierten Glücksspielangeboten einnehmen. Sie verdeutlicht die Risiken für Anbieter, die ohne entsprechende Erlaubnis auf dem deutschen Markt tätig werden. Zudem hat die Entscheidung signifikante Auswirkungen für die Betreiber und könnte als Präzedenzfall für ähnliche Fälle dienen, insbesondere in Bezug auf die Rückforderung von Spielereinsätzen.
Fazit
Die Entscheidung des BGH in I ZR 88/23 setzt ein klares Signal gegen illegales Glücksspiel und betont die Bedeutung der Einhaltung nationaler Regulierungen. Für die Zukunft ist es für Anbieter von Glücksspielen entscheidend, die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Zielmärkten genau zu beachten und notwendige Konzessionen einzuholen, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Diese Entscheidung stärkt das Vertrauen in die Durchsetzung der deutschen Glücksspielgesetze und den Schutz der Verbraucher vor unregulierten Angeboten.
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