Stealthing strafbar

Der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. März 2021, Az. 2 OLG 4 Ss 13/21) hatte am 19. März 2021 den Freispruch des Amtsgerichts Kiel zum sogenannten , also dem heimlichen Abziehen des Kondoms beim Geschlechtsverkehr, aufgehoben.

Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kiel zurückverwiesen. Bei der erneuten Verhandlung ist das Amtsgericht Kiel nach § 358 StPO an die rechtliche Beurteilung des mit der vorgeworfenen Sachverhalts gebunden. Das Amtsgericht wird daher in der klären müssen, ob die vorgeworfene Tat tatsächlich so stattgefunden hat. Dabei könnte insbesondere die Frage zu betrachten sein, ob der Angeklagte tatsächlich erkennen konnte, dass das Opfer mit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr nicht einverstanden war.

Zum Sachverhalt

Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, er habe im März 2018 mit der Geschädigten gegen ihren erkennbaren Willen ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt.Die Geschädigte habe den Angeklagten gegen 17:30 Uhr in seiner Wohnung in Kiel besucht, wo es zwischen beiden in der Folge zunächst zum einvernehmlichen geschützten vaginalen Geschlechtsverkehr gekommen sei. Wie schon in der Vergangenheit hätte die Frau auch an diesem Tag ausdrücklich mehrfach darauf hingewiesen, dass sie dem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten ausschließlich unter der Bedingung der Verwendung eines Kondoms zustimme. In Kenntnis dieses Willens habe der Angeklagte unbemerkt von dem Opfer das Kondom entfernt, bevor er nach einer Pause ein zweites Mal mit seinem Penis vaginal eingedrungen sei. Die Geschädigte habe erst im Anschluss gemerkt, dass der Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen ungeschützt ausgeführt worden sei.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 17. November 2020 aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die in der Anklageschrift geschilderte Tat sei nicht als sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 StGB strafbar. Die Geschädigte habe Sex mit dem Angeklagten zugestimmt. Damit liege kein Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen vor. Geschlechtsverkehr mit oder ohne Kondom seien nicht als verschiedene sexuelle Handlungen zu betrachten. Es liege zudem kein Willensbruch vor, welcher aber für eine Strafbarkeit erforderlich sei. Schließlich habe einvernehmlicher Sex stattgefunden. Eine Strafbarkeit scheitere daher am Wortlaut der Vorschrift. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hatten die Geschädigte und die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Revision eingelegt.

Aus den Gründen

Die von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift vorgeworfene Tat erfüllt mindestens den Tatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StPO.

Auf der Grundlage des Anklageentwurfs hatte der Angeklagte entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht seine sexuelle Handlung nach Entfernen des Kondoms fortgesetzt. Denn Geschlechtsverkehr ohne Kondom hat im Vergleich zum Geschlechtsverkehr mit Kondom eine eigene Qualität, was den Fortfall einer weiteren Barriere gegenüber Intimität und die Risiken einer Infektionsübertragung und ungewollten Schwangerschaft betrifft. Daher stellt der ungeschützte Geschlechtsverkehr eine eigenständige und neue sexuelle Handlung dar. Diese neue sexuelle Handlung war von dem ursprünglichen Einverständnis der Nebenklägerin nicht mehr umfasst.

Insoweit wirkt ihr unmittelbar zuvor erklärter Widerwille gegen Geschlechtsverkehr ohne Kondom fort. Unterläuft ein Täter durch Manipulation des Sachverhalts den schon gebildeten und ihm gegenüber erklärten Willen des Opfers, liegt auch kein Fall einer Täuschung durch Einwirken auf die Vorstellung des Opfers vor.Sofern keine Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Willensänderung beim Opfer vorliegen, kommt es allein auf die vor Beginn des Geschlechtsverkehrs geäußerte Ablehnung des ungeschützten Geschlechtsverkehrs an. Ob in anderen Fällen im Zusammenhang mit Täuschungen des Opfers aus Gründen des Schutzzwecks der Norm eine Täuschung ausnahmsweise beachtlich ist, kann daher offenbleiben. Ebenso unbeachtlich ist, ob es beim Geschlechtsverkehr zu einer Ejakulation gekommen ist. Denn bereits der ungeschützte Geschlechtsverkehr und nicht erst die Ejakulation stellt die sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers dar.

Allerdings konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das Amtsgericht keine hinreichenden Feststellungen zum Tatgeschehen, besonders zum Vorstellungsbild und zum Vorsatz des Angeklagten getroffen hatte. Dies wird nach Zurückverweisung an das Amtsgericht bei erneuter Verhandlung durch eine andere Abteilung nachzuholen sein.

(Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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