Die zunehmende Schwierigkeit der Durchsetzung jugendmedienschutzrechtlicher Vorgaben gegenüber ausländischen Plattformbetreibern stellt die Landesmedienanstalten vor erhebliche praktische Probleme. In einem aktuellen Beschluss hatte das Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße, 5 L 77/25.NW) darüber zu entscheiden, ob eine Content-Providerin im Eilrechtsschutz die aufschiebende Wirkung einer gegen eine Access-Providerin erlassenen Sperrverfügung erwirken kann, obwohl gegen sie selbst eine unbefolgt gebliebene Grundverfügung existiert. Die Entscheidung präzisiert die Voraussetzungen des Rechtsschutzbedürfnisses bei mehrstufigen Vollzugsmaßnahmen im Bereich des Jugendmedienschutzes und deren unionsrechtliche Implikationen.
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine in Zypern ansässige Betreiberin pornographischer Webseiten, war bereits mit bestandsnaher Grundverfügung der LFM NRW verpflichtet worden, jugendgefährdende Inhalte zu entfernen oder eine geschlossene Benutzergruppe einzurichten. Dagegen laufende Hauptsache- und Eilverfahren blieben bisher erfolglos. Da die Antragstellerin die Grundverfügung nicht umsetzte, erließ die Antragsgegnerin nun eine Sperrverfügung gegen eine deutsche Access-Providerin, die den Zugriff deutscher Nutzer mittels DNS-Sperre blockieren soll. Die Content-Providerin versuchte, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen diese Sperrverfügung gerichtlich zu erzwingen, um die Abrufbarkeit ihres Angebots zu sichern.
Juristische Analyse
Antragsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis
Das Gericht bejahte die Antragsbefugnis der Content-Providerin analog § 42 Abs. 2 VwGO mit Blick auf ihre unionsrechtlich geschützte Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) sowie ihre Berufsfreiheit. Jedoch verneinte es das Rechtsschutzbedürfnis: Die Sperrverfügung gegen die Access-Providerin beseitige keine eigenständige Beschwer der Antragstellerin, da sie infolge der weiterhin wirksamen Grundverfügung ohnehin verpflichtet sei, ihre Inhalte zu sperren oder abzusichern. Solange diese Grundverfügung nicht aufgehoben ist, besteht keine rechtlich relevante Verbesserung der Rechtsstellung durch eine Aussetzung der Sperrverfügung.
Verhältnis von Grund- und Sperrverfügung
Dogmatisch ordnete das VG Neustadt die Sperrverfügung als akzessorisch zur Grundverfügung ein. Der Staat darf gestuft vorgehen: Vorrangig ist der Inhaltedienstanbieter selbst in Anspruch zu nehmen, erst subsidiär andere Dienstleister wie Access-Provider. Hält sich der Content-Provider – wie hier – nicht an die Grundverfügung, bleibt der Weg zu flankierenden Sperrmaßnahmen eröffnet. Eine separate Aussetzung der Sperrverfügung liefe daher ins Leere, solange die Grundverfügung fortbesteht.
Unionsrechtliche Fragen: Herkunftslandprinzip und Digital Services Act (DSA)
Die Antragstellerin rügte unter anderem eine Verletzung des Herkunftslandprinzips und einen Anwendungsvorrang des DSA. Das Gericht folgte dem nicht. Es stellte klar, dass die Inhalteregulierung im Einzelfall weiterhin auf nationaler Grundlage möglich bleibt, während der DSA nur für strukturelle Vorsorgemaßnahmen ein umfassendes, vollharmonisiertes Regime etabliert. Auch ein unionsrechtlicher effet utile erfordere keine Aussetzung, da sich dieselben unionsrechtlichen Fragen gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren klären ließen.
Technische Umgehbarkeit und Verhältnismäßigkeit
Die Argumentation der Content-Providerin, DNS-Sperren seien ineffektiv und Jugendschutz werde faktisch unterlaufen, überzeugte das Gericht nicht. Es hielt die Sperrung trotz Umgehungsmöglichkeiten für geeignet und erforderlich, um zumindest einen gewissen Zugangsschutz zu schaffen. Die Maßnahme sei auch zumutbar und stehe nicht außer Verhältnis zum gewichtigen Jugendschutzinteresse.
Praktische Folgen
Der Beschluss stärkt die (durchaus diskussionswürdige) Praxis der Landesmedienanstalten, durch Sperrverfügungen gegen Access-Provider den Vollzug gegenüber ausländischen Plattformen zu sichern, wenn diese Grundverfügungen ignorieren. Für Content-Provider verdeutlicht die Entscheidung, dass parallel zu bestehenden Grundverfügungen kein eigenständiges Abwehrrecht gegen Sperrverfügungen gegen Dritte besteht. Unternehmen müssen daher frühzeitig darauf achten, Primärverfügungen anzugreifen oder zu erfüllen, statt auf die Schwäche technischer Sperren zu setzen.
Kernaussage
Das VG Neustadt bekräftigt, dass Sperrverfügungen gegenüber Access-Providern ein zulässiges Instrument der abgestuften Rechtsdurchsetzung im Jugendmedienschutz sind, wenn ein Content-Provider fortgesetzt gegen eine sofort vollziehbare Grundverfügung verstößt. Rechtsschutzinteresse gegen die Sperrmaßnahme besteht nicht, solange die Primärverfügung wirksam ist – ein klarer Hinweis an Plattformbetreiber, dass Compliance mit Jugendschutzauflagen nicht umgangen werden kann.
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