Im vorliegenden Fall stritten ein Kläger und eine Beklagte, beide Anbieter von Lebensmitteln auf Online-Marktplätzen, über vermeintliche Wettbewerbsverstöße. Die Beklagte hatte zunächst den Kläger wegen fehlender lebensmittelrechtlicher Pflichtangaben abgemahnt. Daraufhin überprüfte der Kläger den Auftritt der Beklagten und stellte Verstöße gegen ähnliche Vorschriften fest. Er mahnte die Beklagte ab und machte Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend.
Die Beklagte argumentierte, das Vorgehen des Klägers sei rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8c UWG. Insbesondere sei der Kläger nicht an einem fairen Wettbewerb interessiert gewesen, sondern habe sachfremde Ziele verfolgt, wie etwa das Generieren von Rechtsverfolgungskosten. Das Landgericht wies diesen Einwand zurück, ebenso wie das OLG Köln (6 U 25/24).
Rechtsmissbrauch: Einordnung und Prüfmaßstab
Nach § 8c UWG ist die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen unzulässig, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt. Dies ist der Fall, wenn sachfremde Ziele des Anspruchstellers im Vordergrund stehen, etwa das Erzeugen von Abmahnkosten. Allerdings ist eine Gesamtwürdigung der Umstände erforderlich; es genügt nicht, dass sachfremde Ziele vorhanden sind, sie müssen überwiegen.
Argumente für einen vermeintlichen Rechtsmissbrauch
1. Retourkutsche nach eigener Abmahnung
Die Beklagte argumentierte, der Kläger habe nur auf ihre Abmahnung reagiert, um diese zu „kontern“ (Gegenabmahnung). Dies sei ein Indiz dafür, dass die Abmahnung des Klägers nicht dem Schutz des Wettbewerbs diene, sondern rein taktischer Natur sei.
2. Separates Vorgehen bei ähnlichen Verstößen
Die Beklagte beanstandete, dass der Kläger mehrere Verstöße in getrennten Verfahren und Abmahnungen geltend machte, obwohl eine Bündelung möglich gewesen wäre. Sie sprach von einer „Salami-Taktik“, die allein darauf abziele, Mehrkosten zu erzeugen.
3. Manipulation der Produktinformationen
Die Beklagte behauptete, der Kläger habe Dritte angestiftet, die Pflichtinformationen bei den Produkten der Beklagten zu entfernen, um Abmahngründe zu schaffen. Dies sei ein weiteres Indiz für sachfremde Motive.
Argumente des Gerichts gegen den Rechtsmissbrauch
1. Legitimität der Gegenabmahnung
Das OLG stellte klar, dass eine Gegenabmahnung für sich genommen nicht rechtsmissbräuchlich ist. Es sei grundsätzlich legitim, nach einer Abmahnung das Verhalten des Abmahnenden zu überprüfen und Verstöße zu rügen. Ein solches Vorgehen diene dem Wettbewerb und sei nicht von sachfremden Motiven geleitet.
2. Keine sachfremde Trennung der Verfahren
Das Gericht verneinte, dass die Trennung der Verfahren auf eine unzulässige „Salami-Taktik“ hinauslaufe. Es stellte fest, dass die Verstöße in ihrer rechtlichen und tatsächlichen Natur unterschiedlich waren:
- Ein Verfahren betraf die fehlenden lebensmittelrechtlichen Pflichtangaben.
- Das andere Verfahren behandelte die Verwendung eines Beigabeartikels („Erfrischungstuch“), das als gezielte Behinderung des Wettbewerbs eingestuft wurde.
Die getrennte Verfolgung war daher sachlich gerechtfertigt und diente einer effizienten Prozessführung.
3. Unbelegte Manipulationsvorwürfe
Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe Informationen bewusst manipulieren lassen, blieb unbewiesen. Selbst ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Entfernung der Informationen und der Abmahnung konnte nicht nachgewiesen werden. Der Kläger konnte plausibel darlegen, dass er die Verstöße eigenständig entdeckt hatte.
Fazit
Das OLG Köln bestätigte, dass kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Entscheidend war, dass der Kläger berechtigte Verstöße geltend machte und sein Vorgehen durch die Gesamtumstände gerechtfertigt war. Das Urteil zeigt, dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs hohe Anforderungen an die Beweislage stellt. Wettbewerber sollten darauf achten, dass ihre Argumente klar belegt werden, um nicht durch unbegründete Vorwürfe in der Defensive zu landen.
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