OLG Celle zum sexuellen Missbrauch bei der ärztlichen Behandlung

Der §174c StGB stellt den sexuellen Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses unter Strafe. Im vorliegenden Fall suchte das erste Opfer einen Arzt in seiner Praxis für Allgemeinmedizin wegen Gelenkbeschwerden auf. Sodann geschah folgendes:

Der Angeklagte begab sich im Behandlungsraum hinter die auf der linken Körperseite auf der Behandlungsliege liegende und nur noch mit BH und String Tanga bekleidete Nebenklägerin, legte eine Hand auf ihren Beckenknochen, mit der anderen Hand drückte er gegen ihren Gesäßknochen. Seine am Gesäßknochen der Nebenklägerin befindliche Hand bewegte der Angeklagte weiter in Richtung Scheide, schob den auf dem Scheideneingang liegenden String Tanga zur Seite und legte mindestens einen Finger unmittelbar auf die Scheide der Nebenklägerin.

Einem zweiten Opfer erging es fast genauso, hinzu kam noch ein Kuss einer (durch den Arzt freigelegten) Brust.

Die erste Instanz erkannte eine Strafbarkeit nach §174c StGB, es wurde vom Angeklagten Revision eingelegt. Begründung: Der §174c StGB schützt in erster Linie ärztliche Betreuungsverhältnisse im Rahmen seelischer oder geistiger Störungen. Sofern es um „normale Arztbehandlungen“ geht, sei die Schwelle erheblich anzuheben. Das OLG Celle (32 Ss 17/11) verwarf diesen Gedankengang richtigerweise mit der Feststellung

Normzweck der Vorschrift ist auf der einen Seite der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Personen, die wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung auf eine Beratung, Betreuung oder Behandlung angewiesen sind, daneben oder sogar in erster Linie – schützt die Norm aber auch die Störungsfreiheit eines Behandlungs, Betreuungs oder Beratungsverhältnisses […] Deshalb unterfallen dem Schutzbereich der Vorschrift nicht nur die Personen, die wegen einer seelischen bzw. einer geistigen Behinderung oder auch einer Suchterkrankung in ihrer Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung eingeschränkt sind, sondern auch solche Personen, die von derartigen Einschränkungen nicht betroffen sind, etwa weil sie ausschließlich an körperlichen Erkrankungen leiden.

Anzumerken ist, dass man durchaus Stimmen findet, die im Rahmen „normaler Arztbesuche“ den §174c StGB etwas einschränken möchte. Wolters im SK-StGB (§174c, Rn.5a) verweist etwa darauf, dass bei rein physischen Beeinträchtigungen des Patienten eine gesonderte Begründung für den „Missbrauch“ notwendig sein soll. Dies, da psychische Beeinträchtigungen den Missbrauch kurzerhand erleichtern. Gefordert von ihm wird, dass der Täter sich die Umstände der Behandlung zu Nutze macht, um Übergriffig zu werden. Abstrakt stimmt das mit den Gedanken des OLG Celle überein, konkret aber differieren die Meinungen dann: Wolters verlangt nämlich einen konkreten Bezug zwischen Behandlung und Übergriff. Etwa indem dem Opfer ein Hinnehmen abgepresst wird, indem mit Nachteilen gedroht wird, etwa dass eine notwendige Behandlung unnötig verzögert wird.

An dem Punkt überzeugt am Ende das OLG Celle mehr: Die Gegenauffassung vermischt erpressende Elemente mit denen des Missbrauchs, der sich dadurch zeigt, dass alleine gegen den Willen des Opfers in die sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Auch hat der Gesetzgeber durch die Änderung des §174c StGB im Jahr 2004 (als „normale“ körperliche Gebrechen aufgenommen wurden) deutlich gemacht, dass gerade jegliches Behandlungsverhältnis erfasst werden soll. Hinzu kommt, dass im Rahmen ärztlicher Behandlungen ohnehin immer ein Vertrauensverhältnis besteht, dass letztlich – bei Übergriffen im Rahmen einer stattfindenden Behandlung – kurzerhand „automatisch“ ausgenutzt wird.

Im Ergebnis ist mit dem OLG Celle festzuhalten, dass der §174c StGB einen recht extensiven Schutz für Patienten bietet, in erster Linie um dem Schutzgut des „Beratungs- und Behandlungsverhältnisses“ ausreichend gerecht zu werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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