Nutzungsbedingungen von Social-Media-Plattform darf Hassrede verbieten

Das Oberlandesgericht Hamm (29 U 6/20), dass Betreiber einer Social-Media-Plattform berechtigt sind, in ihren Nutzungsbedingungen neben dem Verbot strafbarer und rechtswidriger Inhalte auch das Teilen von sog. Hassnachrichten („Hassrede“) zu untersagen. Klauseln, die verbieten, bestimmte Personen oder Personengruppen auf Grund bestimmter geschützter Eigenschaften als minderwertig herabzusetzen, sind danach weder als überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB zu werten noch stellen sie eine unangemessene Benachteiligung der Plattform-Nutzer i.S.d. § 307 BGB dar.

Soweit der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG überhaupt eröffnet ist, greifen gegenüber dem Plattform-Betreiber nicht allein die Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG. Vielmehr wirken die Grundrechte des Plattform-Nutzers gegenüber dem Social-Media-Betreiber nur mittelbar und sind gegen dessen Grundrechte aus Art. 12, 14 GG abzuwägen (Wechselwirkung), mit der Folge, dass dessen unternehmerische Entscheidungen Eingriffe in die rechtfertigen können, wenn dafür sachliche Gründe bestehen.

So führt das OLG aus:

Zwar ergibt sich aus der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten für soziale Netzwerke sowie aus der großen Bedeutung der Meinungsfreiheit für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, dass die Beklagte einer erheblichen (mittelbaren) Grundrechtsbindung unterliegt und Meinungsäußerungen ihrer Nutzer daher nicht ohne sachlichen Grund einschränken darf (so auch OLG Dresden aaO, Rn. 24; OLG Stuttgart aaO, Rn. 73; OLG Karlsruhe aaO, Rn. 55). Dies hat das Landgericht entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht verkannt, sondern die Frage einer unangemessenen Benachteiligung i.S.d. § 307 ausdrücklich an der mittelbaren Grundrechtsbindung der Beklagten gemessen (…)

Die Beklagte darf Inhalte auch dann verbieten, wenn damit ein angemessener Ausgleich mit ihren eigenen grundrechtlich geschützten Rechten geschaffen wird.180

Sie kann sich als ausländische Gesellschaft mit Sitz in R dabei ebenso wie eine inländische Gesellschaft auf die grundrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit berufen. Die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt eine aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar (BVerfG, Beschluss v. 19.07.2011, 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 ff, Rn. 68; vgl. auch OLG Stuttgart aaO, Rn. 73).181

Die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG können für die Beklagte auch betroffen sein, wenn Inhalte auf ihrer Plattform verbreitet werden, die zwar nicht strafbar sind, aber ihrem Geschäftsmodell zuwiderlaufen. Es ist allgemein bekannt, dass die Geschäftstätigkeit der Beklagten auf die Erzielung von Werbeeinnahmen abzielt, die daraus herrühren, dass sie Werbung auf ihrer Plattform aufgrund der von ihren Nutzern bereitgestellten Daten passgenau platzieren und effizient verbreiten kann. Darauf beruft sich auch der Kläger („von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“). Die Beklagte hat damit ein geschäftliches Interesse daran, sowohl für einen möglichst großen Kreis ihrer Nutzer als auch für möglichst viele Werbekunden ein attraktives Umfeld zu bieten, um weiter Daten erheben und Werbeplätze verkaufen zu können. Sie hat außerdem ersichtlich ein Interesse daran, in dieser Geschäftstätigkeit möglichst frei von staatlichen Vorgaben agieren zu können. Die Diskussion um Hasskommentare im Netz und insbesondere auf Social Media Plattformen wie G hat indes gezeigt, dass diese nicht nur staatliche Beschränkungen für die Betreiber von Social Media Plattformen mit sich bringen () und die Beklagte dem Risiko einer betroffener Dritter aussetzt, deren grundrechtlich geschützte Positionen ihrerseits durch Hassbotschaften verletzt werden. Insbesondere mindern digital verbreitete Hasskommentare die Attraktivität der betroffenen Plattformen sowohl für Nutzer als auch für werbetreibende Unternehmen. So läuft die Beklagte aufgrund der allgemein bekannten aktuellen Boykottmaßnahmen namhafter deutscher und internationaler Konzerne effektiv Gefahr, wichtige Werbekunden zu verlieren, wenn sie gegen Hasskommentare auf ihrer Plattform nicht wirksam vorgeht.182

Die Verbreitung von Hasskommentaren betrifft damit für die Beklagte sowohl ihr Grundrecht der Berufsfreiheit als auch ihre Eigentumsgarantie. Denn zur Berufsfreiheit gehört neben der von staatlichen Vorgaben und zivilrechtlichen Inanspruchnahmen Dritter freien Geschäftstätigkeit auch die freie Entscheidung über Art und Ausmaß der beruflichen Betätigung, was für den Betreiber auch umfasst selbst zu entscheiden, welche Werbekunden er halten und gewinnen möchte. Die Nutzung und Bereitstellung der für den Betrieb von G notwendigen Soft- und Hardware unterfällt zudem dem Schutz der Eigentumsgarantie, welche dem Inhaber vermögenswerter Rechte grundsätzlich die alleinige Verfügungsmacht über diese Rechte gewährt. Der grundrechtliche Schutz dieses sog. „virtuellen Hausrechts“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig anerkannt (vgl. OLG Stuttgart aaO, Rn. 73; OLG Karlsruhe aaO, Rn. 55).

Oberlandesgericht Hamm, 29 U 6/20
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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