Die Idee klingt wie aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman: Ermittlungsbehörden sollen zukünftig Zugang zu Fahrzeugen durch Herausgabe von Schlüsselcodes oder Zweitschlüsseln durch die Autohersteller erhalten. Auf den ersten Blick mag das wie ein pragmatischer Ansatz klingen, um die Kriminalitätsbekämpfung zu erleichtern – doch bei genauerem Hinsehen ergeben sich erhebliche rechtliche und ethische Bedenken.
Der Vorschlag: Zugang für Ermittler
Anlässlich der Justizministerkonferenz brachte Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) den Vorschlag ein, Autohersteller gesetzlich zu verpflichten, Ermittlungsbehörden bei Überwachungsmaßnahmen zu unterstützen. Hintergrund ist, dass moderne Diebstahlsicherungen – ironischerweise – auch die Arbeit der Polizei erschweren. In vielen Fällen können Ermittler verdächtige Fahrzeuge nicht mehr unbemerkt öffnen, um Abhörgeräte oder GPS-Tracker zu platzieren.
Justizminister als Treiber der Überwachung?
Kritisch ist für mich die Tatsache zu sehen, dass diese Initiative von Justizministerinnen und Justizministern kommt: Während die Innenminister traditionell den Fokus auf Sicherheitsaspekte und Überwachungsmöglichkeiten legen, ist es Aufgabe der Justizminister, die Grundrechte zu schützen und sicherzustellen, dass Eingriffe in die Privatsphäre verhältnismäßig und rechtlich einwandfrei bleiben.
Diese Rollenverteilung wird hier auf den Kopf gestellt: Statt Schutzwächter der Grundrechte zu sein, treten die Justizminister als Befürworter weitreichender Überwachungsmaßnahmen auf.
Ein solcher Vorschlag mag am Schreibtisch sinnvoll klingen, verursacht aber massive Verunsicherung in der Bevölkerung – die sich ohnehin zunehmend Überwachung und Kontrollverlusten hinsichtlich eigener Daten ausgesetzt sieht. Ich kann nur schwer nachvollziehen, was in den Köpfen von Justizministern vorgeht, die mit so etwas vorpreschen – anders sicherlich bei Innenministern (von denen man solche Eskapaden gewohnt ist).
Rechtliche Grauzonen und fehlende Grundlagen
Aktuell fehlen klare gesetzliche Regelungen, die eine solche Mitwirkungspflicht der Autohersteller rechtfertigen würden. Bestehende Vorschriften, wie etwa die Verpflichtung von Telekommunikationsanbietern zur Unterstützung bei Überwachungsmaßnahmen (§ 100a StPO), sind nicht übertragbar. Auch andere gesetzliche Regelungen wie § 95 StPO (Herausgabe beweiserheblicher Gegenstände) greifen nicht, da das Ziel hier die Vorbereitung von Ermittlungen und nicht die unmittelbare Beweissicherung ist. Ohne solide rechtliche Basis entsteht eine gefährliche Grauzone, die Tür und Tor für Missbrauch öffnen könnte.
Grundrechtliche Bedenken
Der Vorschlag stellt eine potenzielle Bedrohung für die Privatsphäre dar. Fahrzeuge sind für viele Menschen ein Rückzugsort – vergleichbar mit dem Zuhause. Wenn Ermittler durch eine gesetzliche Verpflichtung der Hersteller leichter Zugang zu Fahrzeugen erhalten, könnte dies den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit infrage stellen. Zudem entsteht die Gefahr, dass solche Maßnahmen später auf weniger schwerwiegende Delikte ausgeweitet werden.
Effektivität versus Grundrechte
Die Befürworter argumentieren laut LTO, dass die Kriminalitätsbekämpfung effektiver gestaltet werden müsse, um schwerwiegende Straftaten wie Terrorismus oder organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Doch diese Argumentation darf nicht die grundrechtlichen Schranken aushebeln. Eine Gesellschaft, die aus Angst vor Kriminalität bereit ist, umfassende Überwachungsmaßnahmen zu akzeptieren, riskiert den Verlust wesentlicher Freiheitsrechte.
Ich befasse mich regelmäßig mit dem Thema der Car-Forensik, im BeckOK-StPO habe ich dazu einen eigenen Abschnitt geschrieben und halte regelmäßig Vorträge; einen findet man online auf meiner Seite zu digitalen Beweismitteln
Fazit
Es ist verständlich, dass Strafverfolgungsbehörden mit der technischen Entwicklung Schritt halten müssen. Dennoch darf dies nicht auf Kosten der Grundrechte geschehen. Eine Debatte über verhältnismäßige Maßnahmen, transparente rechtliche Grundlagen und klare Grenzen ist dringend notwendig – vor allem, wenn ausgerechnet die Justizminister solche Maßnahmen fordern. Denn der Schutz der Grundrechte muss auch in Zeiten wachsender technologischer Herausforderungen oberste Priorität bleiben.
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