Freispruch im „Feindeslisten“-Verfahren: AG Köln zu Meinungsfreiheit und Verbreiten personenbezogener Daten

Die Grenzen der Meinungsfreiheit im digitalen Raum sind immer wieder Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Insbesondere bei der Veröffentlichung personenbezogener Daten stellt sich die Frage, wann eine zulässige Kritik vorliegt und wann die Grenze zur strafbaren Gefährdung überschritten wird – hier spielt der noch recht junge Tatbestand der Verbreitung von Feindeslisten eine Rolle.

Das Amtsgericht Köln (Urteil vom 12. Juni 2024, Az. 539 Ds 156/24) hat nun einen Angeklagten freigesprochen, dem das gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten (§ 126a Abs. 1 Nr. 2 StGB) vorgeworfen wurde. Der Fall zeigt exemplarisch, wie Gerichte zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit abwägen müssen.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte auf einer Online-Plattform einen Thread veröffentlicht, in dem er zahlreiche öffentliche Äußerungen von Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern zur Corona-Pandemie auflistete. Dabei zitierte er deren Aussagen zu Impfungen und Maßnahmen gegen Ungeimpfte und verwies auf eine externe Website, die sich selbst als Archiv für „Corona-Unrecht“ bezeichnete. Diese Website rief dazu auf, Zitate und Namen von Personen zu dokumentieren, um diese später einer kritischen Aufarbeitung zugänglich zu machen.

Die Staatsanwaltschaft bewertete diese Veröffentlichung als eine Art „Feindesliste“ und sah darin eine Gefahr für die genannten Personen. Sie argumentierte, dass die Zusammenstellung der Aussagen in einem Kontext erfolgte, der dazu geeignet sei, Hass und Feindseligkeit gegen die Betroffenen zu schüren. Insbesondere sei das Verbreiten der Namen und Aussagen geeignet, zu Bedrohungen oder Angriffen gegen die Betroffenen zu führen.

Das Amtsgericht Köln kam jedoch zu einer anderen Einschätzung und sprach den Angeklagten frei.

Rechtliche Analyse

1. § 126a StGB und die Anforderungen an eine strafbare Gefährdung

Der Straftatbestand des § 126a StGB wurde eingeführt, um gezielt gegen das Veröffentlichen sogenannter „Feindeslisten“ vorzugehen. Dabei handelt es sich um Sammlungen personenbezogener Daten, die meist in einem extremistischen Kontext verbreitet werden und implizit oder explizit Drohungen gegen die betroffenen Personen enthalten.

Das Amtsgericht stellte zunächst fest, dass der Angeklagte zwar personenbezogene Daten verbreitet hatte, dies aber nicht in einer Weise geschah, die eine konkrete Gefahr für die Betroffenen begründete. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich festgelegt, dass das Verbreiten nur dann strafbar sei, wenn es „geeignet und bestimmt“ sei, eine rechtswidrige Tat gegen die genannten Personen zu provozieren.

In der Gesamtbetrachtung sah das Gericht diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Sammlung der Zitate diente primär einer kritischen Auseinandersetzung mit der Corona-Politik und war nicht darauf angelegt, Bedrohungen oder Angriffe gegen die Betroffenen zu fördern. Auch der Verweis auf die externe Website reichte nicht aus, um eine konkrete Gefahr zu begründen, da diese zwar polemisch, aber nicht unmittelbar gewaltverherrlichend war.

2. Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG

Ein zentraler Punkt des Urteils war die Abwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Angeklagten. Das Gericht verwies auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Recht auf freie Meinungsäußerung einen besonders hohen Stellenwert hat, insbesondere wenn es um Kritik an staatlichen Maßnahmen oder gesellschaftlich relevante Themen geht.

Das Gericht betonte, dass scharfe Kritik an politischen Entscheidungen und öffentlichen Äußerungen von Personen des öffentlichen Lebens zulässig sei. Der Angeklagte hatte nach Ansicht des Gerichts keine falschen Tatsachen verbreitet, sondern lediglich Zitate wiedergegeben, die tatsächlich so getätigt wurden. Zudem fehlte eine direkte oder indirekte Aufforderung zu Gewalt oder anderen rechtswidrigen Handlungen.

Das Gericht berücksichtigte auch, dass die gesamtgesellschaftliche Debatte über die Corona-Maßnahmen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch intensiv geführt wurde. Es sah darin einen Kontext, in dem auch überspitzte oder provokante Beiträge von der Meinungsfreiheit gedeckt sein können.

3. Keine subjektive Tatbestandsverwirklichung

Neben der objektiven Tatbestandsverwirklichung prüfte das Gericht auch die subjektive Seite der Straftat. Für eine Verurteilung hätte der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nehmen müssen, dass durch seine Veröffentlichung eine konkrete Gefahr für die Betroffenen entsteht.

Das Gericht kam jedoch zu dem Schluss, dass der Angeklagte in erster Linie ein politisches Anliegen verfolgte und sich nicht bewusst war oder hätte bewusst sein müssen, dass seine Veröffentlichung zu Bedrohungen oder Angriffen führen könnte. Er hatte keine Verbindung zu extremistischen Gruppen, die eine solche Liste möglicherweise für Drohungen nutzen könnten, und äußerte sich selbst nicht in einer Weise, die auf eine feindselige Intention schließen ließ.

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des Amtsgerichts Köln zeigt, dass die bloße Veröffentlichung kritischer Zitate – auch in überspitzter Form – nicht automatisch als strafbares Verbreiten personenbezogener Daten gewertet werden kann. Sie verdeutlicht, dass § 126a StGB zwar den Schutz der Persönlichkeitsrechte stärken soll, aber nicht dazu genutzt werden darf, missliebige Meinungsäußerungen zu unterbinden.

Für den digitalen Diskurs hat das Urteil weitreichende Konsequenzen. Es unterstreicht, dass der Kontext entscheidend ist: Eine Sammlung von Aussagen kann problematisch sein, wenn sie in einem extremistischen Umfeld verbreitet wird oder gezielt Drohungen impliziert. Erfolgt sie jedoch im Rahmen einer gesellschaftlichen Debatte und ohne direkte Aufrufe zu Gewalt, ist sie von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Auch für Medien und zivilgesellschaftliche Projekte, die sich mit der Dokumentation öffentlicher Aussagen befassen, schafft das Urteil Klarheit. Solange die Dokumentation faktenbasiert bleibt und keine implizite Aufforderung zu feindseligem Verhalten enthält, besteht kein strafrechtliches Risiko.

Fazit

Das Amtsgericht Köln hat mit diesem Freispruch ein wichtiges Signal für den Schutz der Meinungsfreiheit gesetzt. Das Urteil verdeutlicht, dass kritische Auseinandersetzungen mit politischen und gesellschaftlichen Themen nicht durch den Straftatbestand des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten kriminalisiert werden dürfen.

Gleichzeitig bleibt der Schutz vor tatsächlichen „Feindeslisten“ bestehen. Das Urteil zeigt, dass Gerichte genau prüfen, ob eine Veröffentlichung wirklich darauf abzielt, Bedrohungen oder Gewalt zu fördern. Nur wenn eine solche Gefährdung nachweisbar ist, greift der Schutzmechanismus des § 126a StGB – eine Differenzierung, die essenziell für die Wahrung der Grundrechte in digitalen Debatten ist.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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