Fernsteuerung und Nutzungseinschränkung: Entscheidung des LG Darmstadt zur Drosselung von Batteriespeichern

Wie geht man damit um, wenn ein gekaufter Akkumulator durch Eingriffe des Herstellers kaum mehr nutzbar ist? Die Thematik wird zunehmend Alltag und beschäftigt Gerichte: Die Entscheidung des Landgerichts Darmstadt vom 8. November 2024 (Az. 19 O 73/24) fügt der Diskussion um Fernzugriff und Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten von Akkumulatoren eine weitere Facette hinzu. Wie bereits die BGH-Entscheidung zur Fernsperrung von Autobatterien zeigt, beleuchtet auch dieses Urteil die rechtlichen Spannungen zwischen digital gesteuerten Eingriffen und dem Schutz von Käufer- und Nutzerrechten.

Der Sachverhalt: Drosselung von Batteriespeichern aus Sicherheitsgründen

Im Kern des Verfahrens stand ein Batteriespeicher zur Nutzung von Photovoltaikstrom. Der Kläger hatte diesen Speicher, zusammen mit einer Photovoltaikanlage, von der Beklagten erworben. Nach einer Reihe von Bränden und Explosionen bei baugleichen Speichermodellen entschied sich die Herstellerin, die Nutzung der Geräte durch ein Firmware-Update und Fernzugriffe erheblich einzuschränken. Die Speicherkapazität wurde auf zunächst 50 %, später 70 % reduziert, und die Ladegeschwindigkeit halbiert.

Der Kläger sah hierin einen Mangel und forderte die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Die Beklagte argumentierte, dass die Einschränkungen aus Sicherheitsgründen notwendig und daher kein seien. Das LG Darmstadt gab jedoch dem Kläger Recht.

Die Probleme für betroffene Nutzer

Für die betroffenen Nutzer sind die Folgen solcher Maßnahmen gravierend. Die Drosselung der Speicherkapazität reduziert die Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Photovoltaikanlage erheblich. Zudem stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Käufer mit derartigen nachträglichen Eingriffen in die von ihnen erworbene Technik rechnen müssen. Der Fall wirft außerdem ein Licht auf die Grenzen des digitalen Zugriffs: Kann ein Hersteller ein erworbenes Produkt aus der Ferne derart verändern, dass es nicht mehr den ursprünglichen Spezifikationen entspricht?

Fernsteuerung und Nutzungseinschränkung: Entscheidung des LG Darmstadt zur Drosselung von Batteriespeichern - Rechtsanwalt Ferner

Die Entscheidung ist im Ergebnis richtig, wäre heute aber anders zu handhaben: Vorliegend handelt es sich laut Urteil um einen Verbraucher der den Akkumulator kaufte. Bei dem Akkumulator handelt es sich – recht problemlos möchte ich meinen – um eine Sache mit digitalen Elementen im Sinne des §327a I BGB. Der Produktmangel wäre damit nach §327e BGB zu beurteilen. Sämtliche Ausführungen des LG sind insoweit korrekt – hätten aber mit Blick auf die Funktionalität nach §327e BGB dann kürzer ausfallen können. Vorliegend war der Vertragsschluss wohl vor Inkrafttreten des neuen Schuldrechts, sodass es hier keine Rolle spielte.

Zum Jahreswechsel 2022 trat ein neues, auf Digitalisierung ausgerichtetes Kaufrecht in Kraft, das erhebliche Neuerungen mit sich bringt. Zu diesem neuen Kaufrecht 2022 bieten wir eine Beitrags-Serie in unserem Blog, die zum Jahresende 2021 von Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner verfasst wurde:

Teil 1: Überblick und neues Kaufrecht
Teil 2: Sicherheit
Teil 3: Digitale Produkte + Waren mit digitalen Elementen
Teil 4: die Aktualisierungspflicht

Die Entscheidung des LG Darmstadt

Das LG Darmstadt stellte fest, dass die Reduzierung der Speicherkapazität einen Sachmangel darstellt. Maßgeblich hierfür war die vertraglich vereinbarte Leistung von 7,5 kWh, die durch die Drosselung nicht mehr erreicht wurde. Das Gericht betonte, dass der Kläger einen berechtigten Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrags hatte.

Vertragstyp: Werkvertrag oder Verbrauchsgüterkauf?

Interessanterweise ordnete das Gericht den Vertrag als ein, da der Fokus auf der Installation und Inbetriebnahme der Photovoltaikanlage lag. Dennoch stellte das Gericht klar, dass auch bei Annahme eines Verbrauchsgüterkaufs die Entscheidung nicht anders ausgefallen wäre. Die Mangelhaftigkeit des Speichers war aus Sicht des Gerichts evident.

Sicherheit als Rechtfertigung?

Die Argumentation der Beklagten, die Einschränkungen seien aus Sicherheitsgründen erfolgt, ließ das Gericht nicht gelten. Der Mangel bestand unabhängig von den Sicherheitsüberlegungen, da die vereinbarte Leistung nicht mehr erbracht wurde. Für den Kläger sei nicht die Frage der , sondern die eingeschränkte Funktionalität des Speichers entscheidend gewesen.

Fristsetzung zur Nacherfüllung

Das Gericht befand, dass der Kläger eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hatte. Die Beklagte war nicht in der Lage, innerhalb dieser Frist einen mängelfreien Zustand herzustellen. Selbst wenn man von einem Verbrauchsgüterkauf ausgegangen wäre, hätte der Kläger keine Frist setzen müssen, da eine solche bei Sicherheitsmängeln nicht erforderlich ist.

Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des LG Darmstadt zeigt, dass digitale Eingriffe durch Hersteller enge rechtliche Grenzen haben. Nachträgliche Einschränkungen, die die Funktionalität eines Produkts erheblich beeinträchtigen, können als Mangel gewertet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Eingriffe aus Sicherheitsgründen erfolgen.

Das Urteil wirft zudem ein Licht auf die Frage, wie weit Herstellerrechte an verkauften Produkten reichen und inwieweit Käufer sich auf die zugesicherten Eigenschaften verlassen können. Es unterstreicht die Bedeutung klarer vertraglicher Vereinbarungen und setzt einen weiteren Maßstab für den Umgang mit digital vernetzten Produkten. Die Entscheidung sollte im Kontext der früheren Entscheidung des BGH zur Sperre von Akkumulatoren aus der Ferne gesehen werden – es zeigt sich zunehmend, wie hier eine vollkommen neue rechtliche Problematik entsteht.


Welcher Betrag ist zu erstatten?

Das LG Darmstadt hat in seiner Entscheidung zur Rückabwicklung des Kaufvertrages für den Batteriespeicher die Nutzungszeit und den Nutzungsvorteil des Klägers berücksichtigt. Das Gericht stellte klar, dass der Kläger, trotz der eingeschränkten Nutzbarkeit der Batterie, von der tatsächlichen Verwendung des Geräts profitiert hat. Dies musste bei der Berechnung des Rückzahlungsanspruchs berücksichtigt werden.

Lösung des Gerichts: Anrechnung des Nutzungsvorteils

Das Gericht ging davon aus, dass die eingeschränkte Speicherkapazität des Geräts (70 % der ursprünglich vereinbarten Leistung) für eine relevante Zeit verfügbar war. Es ermittelte einen monatlichen Nutzungsvorteil basierend auf der Marktwertbewertung des Speichers in seinem eingeschränkten Zustand.

Berechnung im Detail

  1. Bewertung des monatlichen Nutzungsvorteils:
    • Das Gericht stützte sich auf den Vortrag der Beklagten, wonach die eingeschränkte Nutzung des Speichers mit 70 % Kapazität einen monatlichen Gegenwert von 58,33 EUR habe. Diese Berechnung basierte auf einer anteiligen Wertminderung des Speichers im Vergleich zur ursprünglich versprochenen Leistung.
    • Die volle Ladekapazität von 7,5 kWh wurde in Relation zu den tatsächlich nutzbaren 70 % gesetzt, um den Vorteil des Klägers zu quantifizieren.
  2. Zeitraum der Nutzung:
    • Der Kläger konnte die Batterie ab Juli 2022 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im August 2024 nur eingeschränkt nutzen.
    • Dies ergab insgesamt 26,2 Monate (6 Monate im Jahr 2022, 12 Monate im Jahr 2023, 8 Monate und 6 Tage im Jahr 2024).
  3. Gesamtwert des Nutzungsvorteils:
    • Die monatlichen Nutzungsvorteile von 58,33 EUR wurden mit den 26,2 Monaten multipliziert: 58,33 EUR×26,2 Monate=1.528,25 EUR.58,33
  4. Abzug vom Rückerstattungsbetrag:
    • Dieser Betrag von 1.528,25 EUR wurde vom Kaufpreis abgezogen, den der Kläger im Rahmen der Rückabwicklung des Vertrages zurückerhalten sollte.

Fazit: Was bedeutet das für Käufer und Anbieter?

Für Käufer bedeutet die Entscheidung einen wichtigen Schutz vor nachträglichen Einschränkungen ihrer Produkte. Sie können sich darauf berufen, dass vertraglich zugesicherte Eigenschaften auch nach dem Kauf erhalten bleiben müssen. Bei Einschränkungen haben sie das Recht, Nacherfüllung oder Rückabwicklung zu verlangen. Für Lieferanten zeigt das Urteil, dass sie bei Eingriffen in verkaufte Produkte vorsichtig sein müssen. Selbst wenn Sicherheitsgründe vorliegen, dürfen solche Maßnahmen nicht die vereinbarten Leistungsmerkmale des Produkts beeinträchtigen. Anbieter sollten ihre Verträge präzise formulieren und transparente Lösungen für sicherheitsbedingte Anpassungen entwickeln, um rechtliche Konflikte zu vermeiden.

Das Gericht berücksichtigte zu Recht die tatsächliche Nutzung des eingeschränkten Speichers durch den Kläger, um eine faire und ausgewogene Rückabwicklung zu gewährleisten. Der Käufer erhielt also nicht den vollen Kaufpreis zurück, sondern musste sich den Vorteil anrechnen lassen, den er trotz der Einschränkungen hatte. Diese Vorgehensweise entspricht den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung und ist ein Beispiel dafür, wie die Gerichte bei der Rückabwicklung eines Vertrages zwischen den Interessen des Käufers und des Verkäufers abwägen können. Allerdings – und dies wurde hier nicht berücksichtigt – könnte man auch versuchen, den Schaden durch den theoretischen Mehrverbrauch an Strom zu beziffern; das Problem besteht darin, dass es kaum möglich sein dürfte, den Nachweis zu erbringen, dass die Batterie jeden Tag vollständig aufgeladen wird.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht) (Alle anzeigen)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht + Kunst & Medien - ergänzt um Arbeitsrecht.