Verwertbarkeit von Encrochat unter dem Eindruck des KCanG

Ein beachtlicher Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 18. Oktober 2024 (Az. 2 Ws 146/24) hat die -Problematik erneut aufgegriffen und deutliche Aussagen zur Verwertung von EncroChat-Daten vor dem Hintergrund des KCanG getroffen.

Der Hintergrund: EncroChat und die digitale Kommunikation

EncroChat, ein Kommunikationsdienst, der für besonders sichere und verschlüsselte Kommunikation bekannt ist, wurde von vielen Akteuren der organisierten Kriminalität genutzt. Die französischen Behörden konnten im Jahr 2020 die Verschlüsselung des Systems knacken und erhielten Zugang zu umfangreichen Datenbeständen. Diese Daten wurden an deutsche Ermittlungsbehörden übermittelt und bilden seither die Grundlage für zahlreiche Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität. Der vorliegende Fall betrifft den Handel mit Betäubungsmitteln, insbesondere , in erheblichem Umfang. Die Angeklagten hatten sich laut des EncroChat-Dienstes bedient, um ihre illegalen Geschäfte zu organisieren.

Die juristischen Kernfragen

Das Kammergericht Berlin hatte in seinem Beschluss über die Frage zu entscheiden, ob die mittels EncroChat gewonnenen Daten auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) im April 2024 verwertet werden dürfen. Dabei standen mehrere wesentliche juristische Fragen im Mittelpunkt:

  1. : Sind EncroChat-Daten trotz ihres Ursprungs in ausländischen Ermittlungsmaßnahmen und der möglichen Eingriffe in Grundrechte in deutschen Strafverfahren verwertbar?
  2. Einfluss des KCanG: Wie wirkt sich die Neuregelung im Konsumcannabisgesetz auf die Bewertung der Tatbestände und die Verwertbarkeit der Beweise aus?
  3. Verhältnismäßigkeit: Wie ist das staatliche Interesse an der Aufklärung schwerer Straftaten gegen die Grundrechte der Angeklagten abzuwägen?

Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin

Das KG Berlin entschied, dass die EncroChat-Daten auch unter der neuen Gesetzeslage verwertbar sind. Es hob eine frühere Entscheidung des Landgerichts Berlin auf und ließ die Anklage zur zu. Die wesentlichen Erwägungen des Gerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Verwertbarkeit der EncroChat-Daten

Das Gericht bestätigte, dass die EncroChat-Daten im vorliegenden Fall verwertet werden dürfen. Obwohl diese Daten ursprünglich durch französische Behörden erhoben wurden, sah das Gericht keine Hindernisse für deren Verwendung in einem deutschen Strafverfahren. Es verwies dabei auf den Grundsatz des §261 , wonach alle Tatsachen und Beweismittel verwertet werden können, sofern kein ausdrückliches Verbot besteht. Ein solches Verbot sah das Gericht im vorliegenden Fall nicht.

Verhältnismäßigkeit und Grundrechte

Besondere Beachtung schenkte das Gericht der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung und den Grundrechten der Angeklagten. Es betonte, dass es sich bei den vorgeworfenen Taten um erhebliche Straftaten handelte, die eine intensive Aufklärung erforderten. Das Gericht stellte fest, dass die EncroChat-Kommunikation primär zur Planung und Durchführung von Drogengeschäften genutzt wurde und keine Einblicke in den Kernbereich privater Lebensführung eröffnete. Der Eingriff in die Grundrechte der Angeklagten sei daher verhältnismäßig.

Einfluss des KCanG

Das Gericht stellte klar, dass die Verwertung der EncroChat-Daten auch unter der neuen Gesetzeslage gerechtfertigt ist. Das KCanG führte zwar zu einer Neubewertung des Umgangs mit Cannabis, die vorgeworfenen Taten betrafen jedoch gewerbsmäßigen Handel in erheblichem Umfang, der auch unter der neuen Regelung strafbar bleibt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, gewerbsmäßigen Handel weiterhin streng zu ahnden, rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts den Einsatz intensiver Ermittlungsmaßnahmen.

Einordnung und Bedeutung

Die Entscheidung des KG Berlin ist ein wichtiger Meilenstein in der Diskussion um die Verwertbarkeit digitaler Beweismittel. Sie unterstreicht, dass die Nutzung von verschlüsselten Kommunikationsdiensten wie EncroChat kein Schutz vor Strafverfolgung ist. Gleichzeitig zeigt die Entscheidung die Herausforderungen auf, die mit der Verwertung solcher Daten einhergehen, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Grundrechte.

Bedeutung für die Praxis

Für Ermittlungsbehörden bietet die Entscheidung eine wichtige Grundlage, um auch in Zukunft auf EncroChat-Daten und vergleichbare Quellen zurückzugreifen. Sie macht jedoch auch deutlich, dass bei der Verwertung solcher Daten stets eine sorgfältige Abwägung erforderlich ist. Für Angeklagte und ihre Verteidiger bleibt die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung und -verwertung kritisch zu hinterfragen.

Auswirkungen auf die Kriminalitätsbekämpfung

Die Entscheidung zeigt, wie moderne Technologie sowohl von Kriminellen als auch von Strafverfolgungsbehörden genutzt wird. Sie verdeutlicht die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit und digitaler Expertise in der Bekämpfung organisierter Kriminalität. Gleichzeitig wirft sie grundlegende Fragen auf, wie der Schutz der Grundrechte in einer zunehmend digitalisierten Welt gewährleistet werden kann.

Verwertbarkeit von Encrochat unter dem Eindruck des KCanG - Rechtsanwalt Ferner

Ich teile die Einschätzung des KG nicht, gehe aber davon aus, dass letzten Endes diese Sichtweise beim BGH Bestand haben wird. Dabei zeigt der genaue Blick in die BGH-Rechtsprechung, dass wir zunehmendes Rosinenpicken betreiben: Je nach Anwendungsfall wird man Rückwirkend Recht angewendet, mal nicht – immer getreu dem Motto „Die Verurteilung muss passen“.

Fazit

Die Entscheidung des KG Berlin zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten unterstreicht die komplexen rechtlichen Fragen, die sich aus der Nutzung digitaler Technologien ergeben. Sie zeigt, dass Strafverfolgung in einer digitalen Welt neue Wege gehen muss, ohne dabei den Schutz der Grundrechte zu vernachlässigen. Die Entscheidung bietet wichtige Impulse für die zukünftige Entwicklung des Strafrechts und den Umgang mit digitalen Beweismitteln.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft. Ich bin Softwareentwickler, in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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