In einem aktuellen und richtungsweisenden Beschluss hat der 1. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH, 1 StR 106/24) die Definition der „nicht geringen Menge“ weiter präzisiert und sich intensiv mit der Gesetzesbegründung auseinandergesetzt. Diese rechtliche Klärung ist von hoher Bedeutung, da sie direkte Auswirkungen auf die Beurteilung von Delikten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln hat – und der derzeit streitigste Punkt bei der Anwendung des neuen Konsumcannabisgesetzes ist.
Die Entscheidung des BGH ist dabei zwar umfangreich – wirft aber auch kritische Fragen auf, insbesondere ist dies nur die Meinung eines Senats! Es bleibt abzuwarten, wie die weiteren Senate sich postieren. Erste Kritik wurde schnell geäußert – und dass wohl heimlich am Beschluss nachgebessert wurde macht es nicht besser. Beachten Sie dazu auch meinen Aufsatz im JurisPR-Strafrecht. (dazu auch auch auf LinkedIn).
Definition der „nicht geringen Menge“
Der BGH definiert die „nicht geringe Menge“ als ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands erforderlichen Wirkstoffmenge eines Betäubungsmittels. Diese Menge wird durch die Multiplikation einer Einzeldosis mit einer an der Gefährlichkeit des Stoffes orientierten Maßzahl errechnet, die in Konsumeinheiten ausgedrückt wird.
Es wird eine zweistufige Methode angewandt, wobei das „Vielfache“ anhand der spezifischen Wirkweise und der potenziellen Gesundheitsgefährdung des jeweiligen Stoffes bestimmt wird. Insbesondere bei neuen oder weniger gut erforschten Substanzen orientiert sich der BGH an verwandten Wirkstoffen, um eine angemessene Bewertung vorzunehmen .
Auseinandersetzung mit der Gesetzesbegründung
In seiner Urteilsbegründung setzt sich der BGH auch mit den Änderungen in der Gesetzesbegründung auseinander, insbesondere im Kontext des Konsumcannabisgesetzes (KCanG). Hier wird deutlich, dass der Gesetzgeber zwar eine „geänderte Risikobewertung“ anspricht, jedoch keine konkreten, neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefert, die eine Anpassung der bisherigen Definition der „nicht geringen Menge“ rechtfertigen würden.
Der BGH kritisiert, dass aus der Gesetzesbegründung nicht klar hervorgeht, auf welche Aspekte sich die veränderte Risikobewertung genau bezieht. Es fehlen sowohl konkrete wissenschaftliche Belege als auch eine klare Darstellung darüber, welche Konsum- oder Wirkstoffmengen als medizinisch-toxikologisch unbedenklich gelten sollen.
BGH verkennt seine Rolle
Der BGH schlägt in die Kerbe des OLG Hamburg und hinterfragt die Ausführungen des Gesetzgebers u.a. wie folgt:
Soweit von einer „geänderten Risikobewertung“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 132) die Rede ist, sind der – nicht bindenden – Gesetzesbegründung keine tatsachenbasierten Informationen zu entnehmen, auf welche weitergehende Rückschlüsse oder gar eine Berechnung gestützt werden könnten.
Es wird schon nicht klar, worauf genau sich diese geänderte Risikobewertung beziehen soll (kurzfristige Wirkweise, Nebenwirkungen, Langfristschäden, Konsumentwicklung, Vergleich zu Nachbarstaaten, gesellschaftliche Auswirkungen, Kriminalitätsentwicklung). Konkrete, allgemein anerkannte und wissenschaftlich belegte oder belegbare Prämissen benennt der Gesetzgeber nicht. Insbesondere lässt sich weder aus Gesetz noch Begründung ableiten, welche Konsum- oder Wirkstoffmenge medizinisch-toxikologisch (noch) unbedenklich sein soll. Auch den Widerspruch, der sich aus dem Regelungszweck des Gesundheitsschutzes und den ihm dienenden Vorschriften einerseits und der „geänderten Risikobewertung“ andererseits ergibt, löst die Gesetzesbegründung nicht auf
Der Bundesgerichtshof schwingt sich zum Quasi-Gesetzgeber auf und hinterfragt die Motive der Gesetzgebung um am Ende an einem „unser früheres System ist besser“ festzuhalten. Dass alleine durch den Wortlaut des §35a KCanG zur geringen Menge mit dem Verweis auf §34 Abs.1 KCanG bereits klar ist, dass eine nicht geringe Menge nicht unterhalb der jedenfalls tatbestandsbezogenen Bruttomengen liegen kann, erkennt der BGH bereits nicht.
Vielmehr arbeitet er mittels Copy&Paste seine frühere Argumentation in das KCanG ein, das – wie vom BGH richtig erkannt – schon von der Systematik her gar nicht passt. Die gesetzliche Systematik, wie man Bruttomengen erlaubt besitzen kann, zugleich aber im Bereich der nicht geringen Menge liegen kann, klärt der BGH – emsig dabei, dem Gesetzgeber widersprüche vorzuhalten – schon gar nicht mehr auf.
Hinweis: In dieser Woche erscheint ein kurzer Beitrag von mit im Juris Praxisreport Strafrecht, mit dem ich versuche, diese Widersprüche aufzulösen und in welchem ich einen eigenen Lösungsvorschlag unterbreite.
Fazit
Der Bundesgerichtshof betont die Notwendigkeit einer präzisen und evidenzbasierten Festlegung der „nicht geringen Menge“, die sowohl die pharmakologischen Wirkungen als auch die sozialen und gesundheitlichen Kontexte des Drogenkonsums berücksichtigt. Die kritische Auseinandersetzung mit der Gesetzesbegründung zeigt, dass eine sorgfältige und fundierte rechtliche Beurteilung essentiell ist, um die Ziele des Gesundheitsschutzes und der Rechtssicherheit zu gewährleisten.
- BGH zur heimlichen Überwachung und Täuschung durch Ermittler - 1. Dezember 2024
- Populäre Musik und politische Veranstaltungen: Rechte der Künstler und urheberrechtliche Grenzen - 1. Dezember 2024
- Herausforderungen bei der Entwicklung von KI-Systemen: Juristische Fallstricke für Softwareentwickler - 30. November 2024