Car-Forensik: Zugang zu OBD-Daten und Wettbewerbsrecht

Die Automobilbranche befindet sich in einem Wandel, der längst nicht nur technologische, sondern auch rechtliche Fragen aufwirft. Ein zentrales Thema ist der Zugang zu den sogenannten OBD-Daten (On-Board-Diagnose), die für Reparaturen und Wartungsarbeiten essenziell sind. Wer diese Daten auslesen und verändern darf, hat erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Fahrzeugherstellern und unabhängigen Werkstätten.

Das hat mit Urteil vom 17. Januar 2025 (Az. 6 U 58/24) entschieden, dass ein Fahrzeughersteller den Zugriff auf OBD-Daten nicht durch eine verpflichtende Anmeldung auf einem eigenen Server oder durch eine durchgehende Internetverbindung beschränken darf. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung, da sie den Zugang unabhängiger Werkstätten zu Diagnosedaten stärkt und die Regulierung von digitalen Schnittstellen im Fahrzeugmarkt neu ordnet.

Sachverhalt

Geklagt hatten zwei Unternehmen aus dem Bereich der Fahrzeugreparatur und -wartung, die durch die von einem Automobilhersteller implementierten Zugangsbeschränkungen erheblich beeinträchtigt wurden. Der beklagte Hersteller, eine Tochtergesellschaft eines großen Automobilkonzerns, hatte den Zugriff auf die OBD-Daten so gestaltet, dass Werkstätten sich über ein Online-Portal registrieren und persönliche Daten angeben mussten. Darüber hinaus erforderte die Nutzung eines Diagnosegeräts eine ständige Internetverbindung zu einem herstellereigenen Server.

Die Kläger sahen darin eine unzulässige Marktverhaltensregelung, die den Wettbewerb zwischen autorisierten und unabhängigen Werkstätten verzerrte. Sie beriefen sich dabei auf die Verordnung (EU) 2018/858, die Fahrzeughersteller verpflichtet, freien Zugang zu den OBD-Informationen und damit zu den Diagnosedaten der Fahrzeuge zu gewähren. Das Landgericht Köln gab der statt, woraufhin der Hersteller Berufung einlegte. Das Oberlandesgericht Köln bestätigte jedoch die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Berufung zurück.

Rechtliche Würdigung

Das Gericht stellte klar, dass die Verordnung (EU) 2018/858 unabhängigen Werkstätten einen diskriminierungsfreien Zugang zu Diagnosedaten garantiert. Die beklagte Fahrzeugherstellerin hatte mit ihrer Praxis gegen diese Marktverhaltensregelung verstoßen.

1. Unzulässige Zugangsbeschränkungen

Ein zentraler Punkt der Entscheidung war die Frage, inwieweit der Hersteller Bedingungen an den Zugriff auf OBD-Daten knüpfen darf. Das Gericht stellte fest, dass die verpflichtende Registrierung und die ständige Internetverbindung eine unangemessene Erschwernis darstellten, die nicht durch Sicherheitsbedenken gerechtfertigt war.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits in einer früheren Entscheidung klargestellt, dass ein “leichter Zugang” zu diesen Informationen gewährleistet sein muss. Das Oberlandesgericht Köln folgte dieser Argumentation und entschied, dass die angegriffenen Zugangsbeschränkungen nicht den Anforderungen der Verordnung (EU) 2018/858 entsprachen.

2. Abwägung zwischen Cybersicherheit und freiem Wettbewerb

Der beklagte Automobilhersteller hatte argumentiert, dass die Zugangsbeschränkungen der Cybersicherheit dienten, insbesondere um Manipulationen am Fahrzeug zu verhindern. Das Gericht erkannte an, dass Cybersicherheit ein berechtigtes Interesse sei, betonte jedoch, dass Sicherheitsmaßnahmen nicht dazu genutzt werden dürfen, um den Wettbewerb zu verzerren.

Besonders relevant war hier die Abwägung zwischen den Vorgaben der Verordnung (EU) 2018/858 und den Anforderungen der UNECE-R155, einer internationalen Regelung zur Fahrzeugsicherheit. Das Gericht stellte klar, dass die Verordnung (EU) 2018/858 einen klaren Vorrang genießt und Cybersicherheitsvorschriften nicht als Vorwand genutzt werden dürfen, um den Zugang zu Diagnosedaten zu beschränken.

3. Auswirkungen auf den Wettbewerb

Das OLG Köln erkannte an, dass der Zugang zu OBD-Daten für unabhängige Werkstätten von existenzieller Bedeutung ist. Wenn Hersteller diesen Zugang beschränken, führt dies zwangsläufig dazu, dass unabhängige Reparaturbetriebe benachteiligt werden.

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte mit ihrer Praxis gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat. Der Verstoß war geeignet, den Wettbewerb spürbar zu beeinträchtigen, da er den Zugang unabhängiger Unternehmen zum Markt erschwerte. Dies hätte langfristig zur Folge, dass Verbraucher weniger Auswahl hätten und höhere Preise für Reparatur- und Wartungsdienstleistungen zahlen müssten.

Einordnung in die aktuelle Rechtsprechung

Das Urteil reiht sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, die den Zugang zu Fahrzeugdaten für unabhängige Werkstätten stärken. Bereits das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Stuttgart hatten sich mit ähnlichen Sachverhalten befasst und festgestellt, dass die Marktstellung der Fahrzeughersteller nicht zu einer monopolartigen Kontrolle über die Reparatur- und Wartungsbranche führen dürfe.

Die Entscheidung des OLG Köln könnte auch Auswirkungen auf künftige regulatorische Entwicklungen haben. Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer Anpassung der Verordnung (EU) 2018/858, um den Zugang zu Fahrzeugdaten weiter zu präzisieren. Die Entscheidung aus Köln liefert eine weitere juristische Grundlage, um sicherzustellen, dass dieser Zugang tatsächlich diskriminierungsfrei bleibt.

Praktische Bedeutung für Werkstätten und Hersteller

Für unabhängige Werkstätten ist das Urteil ein Erfolg, da es ihre Rechte im Wettbewerb mit Vertragswerkstätten stärkt. Sie können sich nun darauf berufen, dass herstellerseitige Zugangsbeschränkungen rechtswidrig sind und notfalls gerichtlich durchgesetzt werden können.

Für Automobilhersteller bedeutet die Entscheidung, dass sie ihre digitalen Zugangssysteme überdenken müssen. Sie dürfen Sicherheitsmaßnahmen nicht dazu nutzen, um den Wettbewerb zu beschränken, sondern müssen alternative Schutzmechanismen entwickeln, die sowohl den Sicherheitsanforderungen als auch den Anforderungen des Wettbewerbsrechts gerecht werden.

Fazit

Das Urteil des OLG Köln markiert einen wichtigen Schritt hin zu einem faireren Wettbewerb im Kfz-Reparaturmarkt. Es stellt klar, dass Fahrzeughersteller den Zugang zu OBD-Daten nicht unnötig erschweren dürfen und stärkt damit die Position unabhängiger Werkstätten.

Die Entscheidung zeigt auch, dass sich Cybersicherheitsbedenken und freier Wettbewerb nicht zwangsläufig widersprechen müssen. Während Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind, dürfen sie nicht als Vorwand für monopolartige Strukturen dienen. Langfristig könnte das Urteil dazu beitragen, dass sich der Markt für Fahrzeugdiagnose und Reparatur weiter öffnet – zum Vorteil der Verbraucher, die von mehr Wettbewerb und besseren Dienstleistungen profitieren werden.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
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