Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Nachverfahren

Der (4 StR 448/20) konnte sich zu den Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener im Nachverfahren gemäß § 66a Abs. 3 StGB äussern.

Hier gilt, dass gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB die Sicherungsverwahrung im Nachverfahren anzuordnen ist, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Ergibt die erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände, dass der Verurteilte mit bestimmter Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, so sind die materiellen Anforderungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Nachverfahren erfüllt. Hierzu führt der BGH im Detail aus:

Eine Hangfeststellung ist – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht vorausgesetzt.

Für ein solches Verständnis spricht der eindeutige Wortlaut des § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB sowie der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Wille des Gesetzgebers. Auf die Hangfeststellung sollte angesichts der Schwierigkeiten, unter den „künstlichen, nämlich stark kontrollierenden und reglementierten Bedingungen des Strafvollzugs“ entscheidende weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hanges zu gewinnen (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/8586, S. 7 zu § 66a StGB aF; vgl. auch BT-Drucks. 17/3403, S. 31), verzichtet werden.

Die erforderliche Restriktion der Maßregelanordnung im Nachverfahren in Fällen wahrscheinlicher Hangfeststellung und wahrscheinlicher Gefährlichkeit des Verurteilten sollte durch besondere Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose ausgeglichen werden; die Anordnung der Sicherungsverwahrung sollte in Fällen fehlender Hangfeststellung in der Regel nur in Betracht kommen, wenn eine „Fehlentwicklung des Gefangenen im Strafvollzug“ positiv festgestellt werden kann (vgl. BT-Drucks. 14/8586, S. 7; zurückhaltender BT-Drucks. 17/3403, S. 32 [„zu pauschal und weitreichend“]). Für eine solche Auslegung sprechen schließlich auch systematische Überlegungen. Das Rechtsinstitut der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ist als „zweiaktiges Verfahren“ konzipiert (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 30). Das mit dem Ausspruch des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung endende Anordnungsverfahren und das sich hieran anschließende Nachverfahren bilden nach der gesetzgeberischen Konzeption eine Einheit.

Die in erster Linie vergangenheitsbezogene Frage eines Hanges ist im Anordnungsverfahren umfassend zu prüfen und verbindlich zu beantworten. Ist im Anordnungsverfahren ‒ nur ‒ die Wahrscheinlichkeit eines Hanges festgestellt, ist den hiermit verbundenen Prognoseunsicherheiten im Nachverfahren bei der Erstellung der Gefährlichkeitsprognose Rechnung zu tragen.

b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung aller prognostisch relevanten Umstände zu entwickeln. Sie erfordert eine umfassende Analyse der Täterpersönlichkeit und seiner bisherigen Legalbiographie. Die mit Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen (vgl. BGH, Urteile vom 16. April 2020 – 4 StR 8/20 Rn. 6; vom 20. November 2007 – 1 StR 442/07, StV 2008, 139 und vom 11. Mai 2005 – 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 127) sowie etwaige Erkrankungen des Verurteilten sind im Hinblick auf ihre Aussagekraft für eine künftige Legalbewährung zu bewerten und in die Gesamtwürdigung einzustellen. Ferner sind die Wirkungen des Strafvollzugs und mögliche Verhaltensänderungen des Verurteilten bis zur Entscheidung des Gerichts im Nachverfahren besonders in den Blick zu nehmen.

Die Wirkungen des (langjährigen) Strafvollzugs sind regelmäßig unter Einbeziehung der Frage, ob und inwieweit der Verurteilte von den besonderen Behandlungsangeboten (vgl. § 66c StGB) zu profitieren vermochte, in die Gesamtwürdigung einzustellen. Schließlich ist auch die konkrete Entlassungssituation des Verurteilten in den Blick zu nehmen und zu prüfen, ob eine fortbestehende Gefährlichkeit durch flankierende Maßnahmen wie Auflagen und Weisungen, Therapiemaßnahmen oder durch die in einer betreuten Wohneinrichtung auf ein vertretbares Maß reduziert werden kann.

aa) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB setzt im Rahmen der Prüfung der Gefährlichkeit des Verurteilten tatbestandlich nicht voraus, dass substantiell neue Tatsachen in dem strengen Sinne, wie sie von der Rechtsprechung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung im Rahmen des § 66b StGB aF entwickelt worden sind (…), festgestellt werden können. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Gefährlichkeitsprognose unter Einbeziehung neu hinzutretender prognoserelevanter Umstände seit Anordnung des Vorbehalts der Maßregel nunmehr eindeutig positiv begründet werden kann (BT-Drucks. 17/3403, S. 31; BGH, Urteil vom 7. Februar 2011 – 3 StR 394/10; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 66a Rn. 22).

bb) Für die Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen des § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB in den schriftlichen Urteilsgründen gelten grundsätzlich keine besonderen Anforderungen (zu den Darlegungsanforderungen im Verfahren der Anordnung des Vorbehalts vgl. § 267 Abs. 6; Wenske in MüKo-, 1. Aufl., § 267 Rn. 436 ff.). Die Erwägungen, auf die das Gericht seine Gefährlichkeitsprognose stützt, sind in den Urteilsgründen aus sachlich-rechtlichen Gründen so vollständig und genau darzulegen, dass diese für das Revisionsgericht nachzuvollziehen ist. In Fällen, in denen – wie hier – in der Ausgangsverurteilung sowohl ein Hang als auch eine Gefährlichkeit des Verurteilten (nur) für wahrscheinlich gehalten worden sind, bestehen jedoch besondere Darlegungsanforderungen.

Es ist im Einzelnen vollständig, lückenlos und nachvollziehbar darzulegen, dass und aufgrund welcher zusätzlichen Tatsachen das Gericht (nunmehr) zu der positiven Feststellung gelangt, dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 31). Es genügt regelmäßig nicht, lediglich die schon im Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen neu zu bewerten (BGH, Urteil vom 7. Februar 2011 – 3 StR 394/10).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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