Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 23. Mai 2024 (Aktenzeichen: 6 AZR 155/21) über die Wirksamkeit einer im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochenen Kündigung entschieden. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die unterbliebene Übermittlung einer Abschrift der das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat einleitenden Mitteilung an die Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
Sachverhalt
Der Kläger, der seit 1981 bei der Schuldnerin beschäftigt war, klagte gegen eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung. Die Schuldnerin hatte im Januar 2020 die vollständige Einstellung ihres Geschäftsbetriebs beschlossen und kündigte alle 195 Mitarbeiter, nachdem ein Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat vereinbart worden waren. Die erforderliche Übermittlung der Konsultationsmitteilung an die Agentur für Arbeit unterblieb jedoch.
Rechtliche Analyse
Übermittlungspflicht gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG
Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung über die Einleitung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat zu übermitteln. Diese Vorschrift dient der Vorabinformation der Behörde, um sie frühzeitig über die beabsichtigten Entlassungen zu informieren.
Stellungnahme des EuGH
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seiner Entscheidung (C-134/22) fest, dass die Übermittlungspflicht keine individuelle Schutzfunktion für den einzelnen Arbeitnehmer hat, sondern lediglich der Vorbereitung und Information der zuständigen Behörde dient. Die fehlende Übermittlung beeinträchtigt daher nicht die Wirksamkeit der Kündigung.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das BAG bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und entschied, dass die Kündigung trotz des Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht wirksam ist. Das Gericht führte aus, dass die Übermittlungspflicht nicht als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB zu betrachten ist, das die Wirksamkeit der Kündigung beeinflusst. Vielmehr handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Vorschrift, deren Verletzung keine Unwirksamkeit der Kündigung nach sich zieht.
Fazit
Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass Verstöße gegen verfahrensrechtliche Übermittlungspflichten im Rahmen von Massenentlassungen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Arbeitgeber sollten jedoch sicherstellen, dass sie alle verfahrensrechtlichen Anforderungen erfüllen, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Arbeitnehmer hingegen sollten sich bewusst sein, dass die Wirksamkeit einer Kündigung nicht allein durch verfahrensrechtliche Fehler des Arbeitgebers infrage gestellt werden kann.
Für Arbeitnehmer bedeutet dieses Urteil, dass sie sich bei Massenentlassungen nicht allein auf formelle Fehler des Arbeitgebers berufen können, um die Wirksamkeit einer Kündigung anzufechten. Arbeitgeber sollten hingegen sicherstellen, dass sie alle verfahrensrechtlichen Vorgaben sorgfältig einhalten, um unnötige rechtliche Risiken zu vermeiden. Die Entscheidung trägt zur Rechtssicherheit bei und unterstreicht die Bedeutung einer korrekten und vollständigen Durchführung von Konsultations- und Anzeigeverfahren im Rahmen von Massenentlassungen.
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