Vernehmung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten

Der (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 15. Mai 2024 (Aktenzeichen: 6 StR 111/24) wesentliche Klarstellungen zur Vernehmung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten getroffen.

Sachverhalt

Das Landgericht Halle verurteilte den Angeklagten wegen schwerer räuberischer in Tateinheit mit zu einer von zwei Jahren und fünf Monaten. Während der wurde der Angeklagte gemäß § 247 Satz 1 aus dem Sitzungssaal entfernt, um die Vernehmung des Nebenklägers zu ermöglichen. Nach der Vernehmung wurde der Angeklagte über den Inhalt der Aussage informiert.

Es folgte eine , nach der einer der Verteidiger erklärte, dass die Verteidigung keine Fragen mehr an den Nebenkläger habe. Der Angeklagte verließ erneut den Sitzungssaal, und der Nebenkläger wurde in Abwesenheit des Angeklagten entlassen.

Rechtliche Analyse

Verfahrensrüge und § 338 Nr. 5 StPO

Die Revision des Angeklagten stützte sich unter anderem auf die Rüge, dass seine Abwesenheit während der Verhandlung über die Entlassung des Nebenklägers einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO darstelle. Diese Vorschrift besagt, dass die Abwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung einen absoluten Revisionsgrund darstellt.

Der BGH stellte jedoch fest, dass die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen zwar grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung ist. Allerdings gilt dies nicht, wenn der Angeklagte – nach Unterrichtung über den Inhalt der Aussage – auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet hat.

Verzicht des Angeklagten auf weitere Fragen

In diesem Fall hatte der Verteidiger des Angeklagten erklärt, dass die Verteidigung keine Fragen mehr an den Zeugen habe. Der BGH erkannte diese Erklärung als wirksamen Verzicht des Angeklagten an. Dies basierte auf der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin, die erklärte, dass die Verteidiger in Abwesenheit des Angeklagten Gelegenheit hatten, den Nebenkläger zu befragen. Die anschließende Unterbrechung diente dazu, dass Verteidiger und Angeklagter beraten konnten, ob weitere Fragen an den Nebenkläger gestellt werden sollten.

Prozesserklärung durch den Verteidiger

Der BGH betonte, dass der Verteidiger berechtigt ist, eine Erklärung mit Wirkung für den anwesenden Angeklagten abzugeben. Eine ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten ist nicht notwendig, wenn dieser der Erklärung in seiner Gegenwart nicht widerspricht. Dies gilt insbesondere, wenn das Gesetz keine besonderen Anforderungen an die Ermächtigung des Verteidigers stellt:

Bereits die ursprünglich protokollierte Erklärung des Verteidigers, „die Verteidigung“ habe keine Fragen mehr an den Zeugen, enthielt einen wirksamen Verzicht des Angeklagten (…) Der Verteidiger ist berechtigt, eine solche Erklärung mit Wirkung für den anwesenden Angeklagten abzugeben. Selbst in Fällen, in denen das Gesetz die Wirksamkeit einer seitens des Verteidigers im Namen des Angeklagten abgegebenen Prozesserklärung an dessen ausdrückliche Ermächtigung knüpft, ist anerkannt, dass sich die Ermächtigung auch aus dem konkludenten Verhalten des Angeklagten ergeben kann und hierfür regelmäßig genügt, dass er der in seiner Gegenwart abgegebenen Erklärung des Verteidigers nicht widerspricht (…)

Fazit und Auswirkungen

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die Bedeutung der ordnungsgemäßen Protokollierung und der klaren Kommunikation zwischen Angeklagtem und Verteidiger während der Hauptverhandlung. Der Verzicht auf weitere Fragen an einen in Abwesenheit vernommenen Zeugen kann durch den Verteidiger wirksam erklärt werden, sofern der Angeklagte darüber informiert und keine Einwände erhebt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Verteidiger und Gerichte sicherstellen müssen, dass der Angeklagte über alle wesentlichen Schritte und Aussagen informiert wird und seine Rechte gewahrt bleiben. Diese Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit und Klarheit im Umgang mit Verfahrensrügen und der Vernehmung von Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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