Telekommunikationsüberwachung und Pressefreiheit: Überwachung eines Pressetelefons

Die Entscheidung des Landgerichts München I (Az. 2 Qs 33/23) wirft zentrale Fragen zur Vereinbarkeit von mit den Rechten der und den Grundsätzen des Datenschutzes auf. Im Zentrum stand die Frage, ob die Überwachung eines als Pressetelefon gekennzeichneten Anschlusses der Klimaschutzorganisation „Letzte Generation“ rechtmäßig war und ob dabei die Rechte von Journalisten angemessen berücksichtigt wurden. Der Beschluss beleuchtet die Spannungsfelder zwischen Strafverfolgung, Grundrechten und den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Ermittlungsmaßnahmen.

Sachverhalt

Die „Letzte Generation“ wird von der Generalstaatsanwaltschaft München als kriminelle Vereinigung eingestuft. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf zahlreiche Protestaktionen, darunter Straßenblockaden und Aktionen gegen die Energieinfrastruktur. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden mehrere Telekommunikationsanschlüsse überwacht, darunter ein als Pressetelefon deklarierter Anschluss. Dies führte zur Erhebung großer Mengen an Kommunikationsdaten, die teils journalistische Gespräche betrafen. Ein Journalist legte Beschwerde ein und argumentierte, dass die Maßnahme unverhältnismäßig sei und die Pressefreiheit unangemessen beeinträchtige.


Rechtliche Würdigung

1. Zulässigkeit der Telekommunikationsüberwachung

Das Gericht bestätigte die grundsätzliche Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahme nach § 100a . Es erkannte einen qualifizierten Anfangsverdacht auf Grundlage der strafbaren Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB. Die Protestaktionen, darunter Straßenblockaden und gezielte Sachbeschädigungen, wurden als Straftaten eingestuft, die nicht lediglich untergeordnete Zwecke der Vereinigung darstellten. Vielmehr seien diese Handlungen zentral für das Erscheinungsbild der „Letzten Generation“.

2. Verhältnismäßigkeit und Schutz der Pressefreiheit

Ein zentraler Streitpunkt war die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 160a Abs. 2 StPO, die bei der Betroffenheit von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten besondere Anforderungen stellt. Der überwachte Anschluss war öffentlich als Pressetelefon ausgewiesen, was eine gesteigerte Schutzpflicht hinsichtlich journalistischer Kommunikation impliziert. Das Gericht wies jedoch darauf hin, dass die Maßnahme nicht primär gegen Journalisten gerichtet war und dass auch nicht alle Kontakte des Anschlusses durch den Quellenschutz geschützt seien.

Die Überwachung wurde als verhältnismäßig eingestuft, da sie entscheidend zur Aufklärung der Organisationsstrukturen der „Letzten Generation“ beitrug. Die erhobenen Daten lieferten wichtige Erkenntnisse zur internen Kommunikation und zu Abläufen innerhalb der Organisation. Das Strafverfolgungsinteresse wurde vom Gericht als überwiegend gegenüber den Interessen der Pressefreiheit gewertet, da es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung handelte.

3. Nachschieben von Begründungen

Die Beschwerdeführer kritisierten, dass die ursprüngliche Anordnung unzureichend begründet war und die wesentlichen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit fehlten. Das Gericht erkannte diese Defizite an, betonte jedoch, dass eine Nachbesserung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich zulässig sei. In diesem Fall sei die Umgrenzungsfunktion der ursprünglichen Anordnung gewahrt geblieben, und es habe keine Anhaltspunkte gegeben, dass der Ermittlungsrichter die Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen habe.

4. Datenschutz und Vollzugsweise

Ein weiterer Kritikpunkt war die Art und Weise der Datenerhebung und -speicherung. Insbesondere wurde beanstandet, dass journalistische Gespräche vollständig aufgezeichnet wurden, obwohl ihre Relevanz frühzeitig erkennbar gewesen sei. Das Gericht stellte klar, dass der Schutz sensibler Informationen insbesondere in der Auswertungsphase erfolgt und eine sofortige Löschung gesetzlich nicht vorgeschrieben sei.

Telekommunikationsüberwachung und Pressefreiheit: Überwachung eines Pressetelefons - Rechtsanwalt Ferner

Die Entscheidung des LG München zeigt, wie komplex die Abwägung zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz ist, insbesondere wenn Berufsgeheimnisträger betroffen sind. Sie unterstreicht, dass journalistische Kommunikation besonderen Schutz genießt, jedoch nicht absolut ist, wenn gewichtige Strafverfolgungsinteressen entgegenstehen.

Fazit

Die Pressefreiheit ist ein tragendes Fundament der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das weit über die subjektiven Rechte der Medienschaffenden hinausgeht. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt nicht nur die individuellen Rechte von Journalisten und Redaktionen, sondern garantiert auch die institutionelle Eigenständigkeit der Medien. Diese Eigenständigkeit ist essenziell, um die Informationsbeschaffung, den Schutz von Quellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Medien und Informanten zu gewährleisten. Ohne diesen Schutz könnten die Medien ihre Funktion als „vierte Gewalt“ im Staat nicht angemessen ausüben. Die Pressefreiheit ist daher ein konstituierendes Element des Rechtsstaats, das nicht durch staatliche Maßnahmen ausgehöhlt werden darf.

Die Entscheidung des LG München wirft in diesem Zusammenhang wichtige Fragen auf. Zwar ist das legitime Interesse der Strafverfolgung nicht zu leugnen, insbesondere wenn der Verdacht auf das Vorliegen schwerwiegender Straftaten besteht. Doch gerade bei Maßnahmen, die tief in die Grundrechte eingreifen, wie der Telekommunikationsüberwachung, ist die verfassungsrechtliche Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Pressefreiheit von entscheidender Bedeutung. Im vorliegenden Fall wurde ein als Pressetelefon deklarierter Anschluss überwacht, auf dem laut Aktenlage fast ausschließlich journalistische Anfragen eingingen. Dieser Umstand hätte einer deutlich sensibleren Prüfung und engmaschigeren Kontrolle bedurft, als sie offenbar erfolgt ist.

Es bleibt kritisch anzumerken, dass die Pressefreiheit hier hinter dem Strafverfolgungsinteresse zurückgestellt wurde, obwohl der überwachte Anschluss keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte. Die Dauer der Maßnahme und die Umstände ihrer Durchführung, einschließlich der Speicherung und Auswertung journalistischer Kommunikation, stellen eine erhebliche Belastung für die Grundrechte der Presse dar. Solche Maßnahmen bergen die Gefahr, eine abschreckende Wirkung auf Medienvertreter und ihre Informanten zu haben – ein Effekt, der die Meinungsvielfalt und die freie Berichterstattung nachhaltig beeinträchtigen könnte.

Die Entscheidung zeigt, wie notwendig es ist, bei der Anordnung und Durchführung solcher Maßnahmen strenge rechtsstaatliche Standards einzuhalten. Sie wirft zugleich die Frage auf, ob der Schutz von Berufsgeheimnisträgern, insbesondere Journalisten, im Rahmen der geltenden Vorschriften ausreichend gewährleistet ist. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Entscheidungen die Bedeutung der Pressefreiheit stärker in den Vordergrund rücken und die Balance zwischen staatlichen Interessen und den unverzichtbaren Grundrechten der Medien sorgfältiger wahren.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft. Ich bin Softwareentwickler, in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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