OLG Brandenburg stärkt die Position der Spieler: Die zivilrechtliche Aufarbeitung der in juristischen Fachkreisen sogenannten „Glücksspielgate“-Konstellationen nimmt weiter an Kontur zu. Während der Bundesgerichtshof in jüngerer Zeit vor allem die Rolle von Zahlungsdienstleistern beleuchtet hat, konkretisieren die Oberlandesgerichte die Voraussetzungen der Rückforderung unmittelbar gegenüber den Anbietern.
Mit seinem Urteil vom 16. Juni 2025 (2 U 24/25) reiht sich das OLG Brandenburg in die Reihe instanzgerichtlicher Entscheidungen ein, die Spielern einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch gegen Anbieter nicht lizenzierter Online-Casinospiele zusprechen – unter ausdrücklicher Einbeziehung deliktischer Gesichtspunkte und unter Ablehnung eines Ausschlusses nach § 817 Satz 2 BGB. In einer zunehmend ausdifferenzierten Judikatur zur Rückabwicklung illegaler Glücksspiele markiert das Urteil einen weiteren Mosaikstein im Spannungsfeld zwischen Verbraucherschutz, europarechtlicher Kohärenz und dem Prinzip der Rechtssicherheit.
Hinweis: Wir übernehmen keine Mandate von Verbrauchern, die auf Rückforderung solcher Beträge gerichtet sind!
Sachverhalt und Entscheidungskern
Der Kläger hatte in den Jahren 2014 bis 2020 an Online-Casinospielen eines in Malta ansässigen, in Deutschland nicht lizenzierten Anbieters teilgenommen. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand ein Rückzahlungsverlangen in Höhe von 505,98 €, gestützt auf die Nichtigkeit der Spielverträge wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 i.V.m. § 134 BGB.
Die Beklagte berief sich insbesondere auf eine Kenntnis des Klägers vom Verbotstatbestand sowie auf eine angeblich nicht gegebene Anwendbarkeit deutschen Rechts aufgrund der internationalen Ausrichtung ihres Angebots. Das OLG Brandenburg bestätigte jedoch die Entscheidung der Vorinstanz im Wesentlichen und sprach dem Kläger den geltend gemachten Betrag zu – gestützt sowohl auf bereicherungsrechtliche (§§ 812 ff. BGB) als auch auf deliktische (§ 823 Abs. 2 BGB) Anspruchsgrundlagen.
Dogmatische Einordnung
Zentral für die rechtliche Bewertung war die Frage, ob die geschlossenen Spielverträge wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sind. Hier bezieht sich der Senat konsequent auf die gefestigte Auffassung, wonach § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB darstellt, dessen Verletzung zur zivilrechtlichen Nichtigkeit führt – eine Linie, die etwa auch das OLG Köln (Urt. v. 31.01.2022 – 19 U 51/21) und das OLG Stuttgart jüngst bekräftigt haben. Mit bemerkenswerter Klarheit weist das OLG Brandenburg den Versuch zurück, die Rückforderung unter Berufung auf § 817 Satz 2 BGB zu vereiteln. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich der Illegalität der Spiele bewusst war oder sich dieser Erkenntnis leichtfertig verschlossen habe. Maßgeblich sei dabei nicht, ob der Kläger die abstrakte Rechtslage hätte kennen können, sondern ob sich ihm konkrete Zweifel an der Legalität des Angebots aufdrängen mussten – was angesichts der deutschsprachigen Gestaltung des Angebots und der aktiven Werbung für deutsche Spieler nicht der Fall sei.
Diese Begründung fügt sich stimmig in die dogmatische Diskussion ein: Die Literatur betont zu Recht, dass eine pauschale Berufung auf § 817 Satz 2 BGB in der Rechtspraxis zu einem unkontrollierten Aushebeln des Spielerschutzes führen würde – gerade in einer Konstellation, in der der Gesetzgeber bewusst ein Totalverbot nicht lizenzierter Angebote statuierte, ohne dieses flächendeckend durchzusetzen. Der Maßstab für ein „leichtfertiges“ Verhalten müsse daher realitätsnah und kontextsensibel justiert werden.
Systematische Bedeutung im Gesamtkontext
Das Urteil des OLG Brandenburg steht nicht isoliert. Vielmehr ist es Ausdruck einer zunehmenden rechtsdogmatischen Verselbstständigung der Rückforderungsrechtsprechung gegenüber Online-Glücksspielanbietern – mit mittlerweile deutlich erkennbarer Tendenz zur Spielerfreundlichkeit. Zugleich bleibt der Senat auf Linie mit der neueren Judikatur, indem er bereicherungs- und deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen konsequent trennt und in ihrer dogmatischen Eigenständigkeit würdigt. Besonders instruktiv ist die Anerkennung von § 284 StGB und § 4 Abs. 4 GlüStV als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Brückenschlag zur laufenden europarechtlichen Diskussion. Das OLG Brandenburg lehnt eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf das Vorlageverfahren C- 440/23 ab und verweist auf die bereits weit entwickelte EuGH-Rechtsprechung zur Vereinbarkeit nationaler Glücksspielbeschränkungen mit der Dienstleistungsfreiheit (vgl. EuGH, C- 42/07 – Liga Portuguesa de Futebol). Auch die jüngsten Vorlagebeschlüsse des BGH sieht das OLG nicht als entscheidungsrelevant für die streitgegenständliche Konstellation – zu Recht, denn anders als im Fall des Bundesgerichtshofs hatte die Beklagte nie versucht, eine Konzession zu erhalten. Damit entzieht sich der Fall auch dem unionsrechtlichen Vorbehalt aus Art. 56 AEUV, wie er insbesondere in der Rechtsprechung zu Sportwetten diskutiert wird.
Praktische Auswirkungen und verfahrensrechtliche Anmerkungen
In verfahrensrechtlicher Hinsicht verdient die Entscheidung auch wegen ihrer Ausführungen zur Prozessstandschaft und zur Erforderlichkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten Beachtung. Der Senat legt dar, unter welchen Voraussetzungen ein Kläger im eigenen Namen klagen darf, obwohl er seine Ansprüche zur Prozessfinanzierung abgetreten hat – ein Aspekt, der im Kontext massenhafter Klagen von Drittfinanzierern zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Ablehnung der Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten unterstreicht hingegen den prozessökonomischen Maßstab, der bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit anwaltlichen Vorgehens anzulegen ist.

Während der Bundesgerichtshof Banken und Zahlungsdienstleister aus der Haftung nimmt, geraten die Veranstalter selbst immer stärker in die zivilrechtliche Verantwortung – eine Entwicklung, die sich als folgerichtig und verfassungsrechtlich geboten darstellt. Der Richterspruch aus Brandenburg fügt sich damit nicht nur in eine dogmatisch konsistente Rechtsprechungslinie ein, sondern markiert auch ein Etappenziel in der praktischen Durchsetzung des staatlichen Glücksspielmonopols.
Quintessenz
Mit seiner Entscheidung positioniert sich das OLG Brandenburg eindeutig auf Seiten der Spieler. Das Urteil betont die Nichtigkeit der Verträge mit nicht lizenzierten Online-Casinobetreibern, lässt Rückforderungen trotz § 817 Satz 2 BGB zu und erkennt deliktische Ansprüche ausdrücklich an. Im Gesamtgefüge der aktuellen Judikatur liefert die Entscheidung ein weiteres starkes Argument gegen die Verteidigungslinie der Anbieter.
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