Das Oberlandesgericht Köln (6 U 5/15) hatte sich mit der Frage des urheberrechtlichen Schutzes amtlicher Schriftstücke zu beschäftigen. Es ging um „Unterrichtungen des Parlaments“ die als Verschlusssache („VS – nur für den Dienstgebrauch“) gekennzeichnet waren. Der Betreiber einer Internetseite – Pikant: Es ging um eine Pressegruppe – hatte auf ungeklärtem Weg die Schriftstücke erhalten und im Internet veröffentlicht. Er wurde sodann auf Unterlassung in Anspruch genommen – erfolgreich.
Zum urheberrechtlichen Schutz der Schriftstücke
Das OLG nimmt einen urheberrechtlichen Schutz an, wobei der Beklagte sich damit verteidigen wollte, dass es sich doch nur um Tatsachenberichte gehandelt hat:
Auch Mitteilungen vorgegebener Tatsachen oder Gebrauchszwecken dienende Schriftwerke sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt, sofern das Alltägliche, das Handwerksmäßige, die mechanisch-technische Aneinanderreihung des Materials deutlich überragt wird. Dabei kann die erforderliche Individualität und schöpferische Leistung auch durch den Aufbau, die Auswahl und Anordnung sowie durch wechselseitige Aufgabenzuweisung der Text- und Bildinformation, die sprachliche Ausdrucksweise oder die sonstige Darstellungsart erreicht werden, sofern diesbezüglich ein nicht unerheblicher gestalterischer Spielraum verbleibt (vgl. BGH GRUR 1993, 34 [36] – Bedienungsanweisung; LG München I GRUR-RR 2008, 74 [75] – Biogas Fonds). Je länger ein Text ist, desto größer ist der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten bei der individuellen Wortwahl und Darstellungsform, und kann deshalb umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung erkannt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 30.09.2011 – 6 U 82/11 -, BeckRS 2011, 26662; LG Stuttgart vom 04.11.2010 – 17 O 525/10 – Rn. 50 f., zitiert nach juris).
Nun, das ist nicht falsch, ich kann hier also nicht einwenden, dass das OLG einen Fehler gemacht hat. Dies ist schon deswegen nicht möglich, weil ich die Schriftstücke gar nicht kenne, also die notwendige Bewertung nicht vornehmen kann. Zumindest dürfen aber Zweifel angebracht sein, ob eine im politischen Alltag verfasst UdP, die der Tatsachenunterrichtung dient, wirklich in der Lage ist sich sprachlich von dem üblichen zu erwartenden Handwerk zu unterscheiden. Insoweit erscheint schon zweifelhaft, ob der Ersteller solcher Nachrichten sich überhaupt Gedanken über die konkrete Sprachfassung gemacht hat, oder ob er nicht schlicht „runter schrieb“. Letztlich kann dieser Aspekt hier nicht vertieft werden, die Wertung des OLG muss ich schlicht hinnehmen.
Amtliche Veröffentlichung
Das OLG verneint die Anwendung des §5 UrhG, dies dann allerdings konsequent zu Recht aus meiner Sicht:
Das Landgericht hat auch insoweit zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, ausgeführt, dass es sich bei den UdP weder um ein amtliches Werk nach der abschließenden Aufzählung in § 5 Abs. 1 UrhG noch um ein Werk handelt, das nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 UrhG im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden ist.
Von Absatz 1 erfasst sind zum einen alle Rechtsnormen und regelnden amtlichen Äußerungen, die von einer Stelle stammen, die mit der Erfüllung öffentlicher hoheitlicher Aufgaben betraut sind; darunter fallen zum anderen behördliche und insbesondere gerichtliche Entscheidungen sowie amtlich verfasste Leitsätze zu Entscheidungen. Die UdP fallen als reine Unterrichtung bzw. Mitteilung mangels Regelungs- oder Entscheidungscharakters nicht unter die abschließende Aufzählung dieser Norm.
Das Landgericht hat darüber hinaus auch die Voraussetzungen des Absatzes 2 zutreffend verneint. Es ist unstreitig, dass die Klägerin nicht die – der Beklagten auf unbekanntem Wege „zugespielten“ – UdP, sondern allein die mit diesen Berichten nicht identischen UdÖ („Unterrichtung der Öffentlichkeit“) tatsächlich veröffentlicht hat. Abgesehen davon, dass die UdP selbst damit tatsächlich nicht veröffentlicht sind, begründet auch das von der Beklagten für sich und die Allgemeinheit beanspruchte „allgemeine“ Interesse an einer Veröffentlichung der ungekürzten Fassungen kein „amtliches“ Interesse, dass das Werk tatsächlich zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht wird. Die Beklagte setzt hier zu Unrecht den Begriff „amtlich“ mit „allgemein“ gleich und vermischt die in § 5 Abs. 2 normierten Tatbestandsvoraussetzungen „amtliches Interesse“ und „zur allgemeinen Kenntnisnahme“. Die Rechtsprechung ist mit der Annahme eines sonstigen amtlichen Werkes im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG in Zweifelsfällen ohnehin zurückhaltend; so sind insbesondere keine sonstigen amtlichen Werke solche, die lediglich im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit oder zu Belehrung und Unterrichtung geschaffen werden (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 5 Rn. 10 m.w.N.).
Meinungs- und Pressefreiheit
Erheblich spannender ist die Auseinandersetzung mit der Meinungs- und Pressefreiheit, die das OLG dann zu Gunsten der Behörde entscheidet. Man lese und staune:
Auch wenn man – im Ansatz mit der Beklagten – die Pressefreiheit weit auslegt und auch ein Berufen auf die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt, und selbst wenn diese Grundrechte im Wege verfassungskonformer Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen in einen Ausgleich zu den Verwertungs- und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin zu bringen sind, überwiegen die Grundrechte der Beklagten gegenüber denjenigen, auf die sich die Klägerin berufen kann, nicht in dem Sinne, dass auch die Veröffentlichungen der gesamten und ungekürzten UdP von dem Zweck der urheberrechtlichen Schrankenregelung des Zitatrechts gedeckt sind. Die Beklagte räumt ein, dass die Klägerin die in Rede stehenden Dokumente – in Gestalt der UdÖ – selbst größtenteils bereits für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Damit ist dem Informationsinteresse bereits in hohem Maße Rechnung getragen. Die Veröffentlichung einzelner Auszüge aus den Dokumenten – wie sie in Gestalt der UdÖ erfolgt – reicht aus, um die Sichtweise der Klägerin auf die von ihr in den Berichten behandelten Nationen und die Lage im jeweiligen Land wiederzugeben. Dem Leser der Internetseite der Beklagten werden darüber hinaus von dieser keine Informationen über die Hintergründe oder Erklärungen zu den in den UdP behandelten Themen nebst inhaltlicher Auseinandersetzung präsentiert; die Klägerin zieht daher zu Recht in Zweifel, ob die Allgemeinheit angesichts der allgemein zugänglichen UdÖ tatsächlich ein solches Interesse an der Verbreitung der vollständigen Dokumente hat. Bereits das Landgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Beklagte den Zweck der Auseinandersetzung mit einer angeblichen Diskrepanz zwischen UdÖ und UdP auch dadurch hätte erreichen können, dass sie einzelne Abschnitte der UdP im Rahmen einer Analyse erörtert und diesen die entsprechenden Abschnitte der UdÖ gegenübergestellt hätte – eine entsprechende Gegenüberstellung und Analyse findet sich etwa auf der Homepage „www.datenjournalist.de/was die Bundeswehr in den Berichten an die Öffentlichkeit alles weglässt“.
Eine vergleichbare journalistische Bearbeitung, Analyse oder vertiefte Auseinandersetzung der Beklagten mit den Berichten erfolgt jedoch nicht. Demgegenüber hat die Klägerin in ihrem bereits oben zitierten Ablehnungsbescheid legitime Gründe für die Geheimhaltung bestimmter Informationen angegeben, weil die UdP militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr betreffen. Dies überzeugt ohne weiteres, soweit eine Bedrohungslage oder die Rolle einer handelnden Person eingeschätzt und bewertet oder Strategien der Bundeswehr oder Details ihrer Einsatzstärke dargestellt werden. Im Übrigen muss der Klägerin wie bereits ausgeführt insoweit ein entsprechendes und nicht in jedem Einzelfall zu begründendes Ermessen eingeräumt werden. Soweit die Beklagte darauf hinweist, es seien keine nennenswerten Vermögensinteressen der Klägerin betroffen, verkennt sie, dass dem Urheber grundsätzlich insbesondere auch die Entscheidung über das „Ob“ der Veröffentlichung zusteht.
Diesen Aspekt sehe ich vollkommen anders. Das OLG verkennt hier, dass in der digitalen Zeit die Aufgabe der Presse nicht alleine darin liegt, sich immer zwingend mit Inhalten wertend auseinander zu setzen, sondern auch, der Öffentlichkeit Zugang zu relevanten Inhalten zu verschaffen, die der Meinungsbildung förderlich sind. Dass die Regierung dabei selber durch gekürzte Ausgaben das Öffentlichkeitsinteresse senken können soll ist aus meiner Sicht haarsträubend: Mit dieser verqueren Logik ist es der Regierung möglich, durch manipulative Kurzfassungen jegliche Veröffentlichung unbliebsamer Informationen, die zur Bewertung und Meinungsbildung notwendig sind, zu unterbinden. Das Urheberrecht wird am Ende, entgegen der Höchstrichterlichen Rechtsprechung, zum Kontrollmittel der Regierung um den Informationsfluss der Presse zu kontrollieren.
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