Medizinische Zwangsbehandlung bei Unterbringung nach §63 StGB

Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Gerade bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff.

Gleichwohl kann ein solcher Grundrechtseingriff mit der Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die gegen den natürlichen Willen durchgeführte medizinische Behandlung darauf abzielt, die Entlassungsfähigkeit in einer psychiatrischen Klinik herzustellen – jedenfalls wenn der Betroffene zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handelt gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist.

Voraussetzung medizinischer Zwangsbehandlung

Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen entlassungsfähig zu machen, strikt dessen krankheitsbedingte Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht – kurz: krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit – zur Voraussetzung:

Soweit unter dieser Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen „vor sich selbst in Schutz zu nehmen“, anzuerkennen ist, eröffnet dies keine „Vernunfthoheit“ staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseitegesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint. Auf eine eingriffslegitimierende Unfähigkeit zu freier Selbstbestimmung darf daher nicht schon daraus geschlossen werden, dass der Betroffene eine aus ärztlicher Sicht erforderliche Behandlung, deren Risiken und Nebenwirkungen nach vorherrschendem Empfinden im Hinblick auf den erwartbaren Nutzen hinzunehmen sind, nicht dulden will. Erforderlich ist eine krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten (vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 Rn. 54 f.).

Landgericht Köln, 123 StVK 98/19

Somit kommt als rechtfertigender Belang das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des nach Maßgabe des § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Betroffenen in Betracht, da diese Maßregel mit einer zeitlich unbefristeten Freiheitsentziehung einhergeht (vgl. § 67d StGB).

Ist der Betroffene aufgrund seiner krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit, seine grundrechtlichen Belange insoweit wahrzunehmen, als es um die Wiedererlangung der Freiheit geht, darf der Staat nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – in diejenigen Grundrechte eingreifen, die der Betroffene allein krankheitsbedingt übergewichtet.

Gesetzliche Voraussetzung medizinischer Zwangsbehandlung

In NRW regelt § 17a Abs. 2 MRVG die medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen zur Erreichung der Entlassfähigkeit.

Der Zwangsbehandlung ist dabei der mit dem nötigen Zeitaufwand unternommene Versuch voraus zu gehen, die Zustimmung des Betroffenen zu erreichen, § 17a Abs. 2 Nr. 2 MRVG. Dies unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei den Behandlungen nach § 17a Abs. 2 MRVG regelmäßig mehr Zeit für die Erreichung der Zustimmung vorhanden ist als bei Akutsituationen nach § 17a Abs. 1 MRVG (vgl. LT-Drucks.16/13470, S. 351).

Eine zwingende Voraussetzung ist dabei, dass ein positives Votum zur Fortsetzung der Zwangsbehandlung vorliegt, das von einer unabhängigen Fachärztin oder einem unabhängigen Facharzt stammt (§ 17a Abs. 6 S. 2 und 3 MRVG):

Die Überprüfung der Anordnung durch eine unabhängige dritte Person, die Facharzt oder Fachärztin für Psychiatrie sein muss, ist aufgrund des Umstandes erforderlich und verfassungsrechtlich geboten, dass die mit der Zwangsbehandlung verbundenen weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung in Verbindung mit ihrer Geschlossenheit und den dadurch für alle Beteiligten eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit versetzen, in der er besonderen Schutzes dagegen bedarf, dass seine grundrechtlich geschützten Belange nur unzureichend gewürdigt werden. 

Landgericht Kleve, 182 StVK 3/20

Persönliche Begutachtung des Betroffenen vor Zwangsbehandlung zwingend

Das LG Kleve führt im weiteren aus, dass eine solche ärztliche Stellungnahme sich keinesfalls auf verschiedene schriftliche Unterlagen stützen darf, ohne dass sich der Facharzt ein eigenes Bild von der Person verschafft hat:

Allein dieses Verständnis vom Inhalt des von dem externen Facharzt zu erstellenden „Votums“ wird den Vorgaben, die das zum Schutz des Grundrechts des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit aufgestellt hat, gerecht. Stützt sich der externe Facharzt in seinem Votum lediglich auf ihm zur Verfügung gestellte Unterlagen über die Behandlung des Betroffenen, besteht die Gefahr, dass er die dortigen Ausführungen der Klinik zur Begründung der begehrten Zwangsbehandlung allein unter Hinweis auf ihre Plausibilität bestätigt („abnickt“), ohne sich in der gebotenen Weise selbst mit ihnen auseinandergesetzt zu haben.

Mit der Überprüfung durch von der Einrichtung unabhängige Dritte soll aber gerade vermieden werden, dass Anträge der Klinik auf Zwangsbehandlung von Eigeninteressen beispielsweise bei Überforderungen mit oft „schwierigen“ Patienten, aber auch infolge der auch der Kammer bekannten schwachen Personalausstattung der psychiatrischen Krankenhäuser des Maßregelvollzugs bestimmt sind, die den Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen nicht rechtfertigen (…)

Die Zwangsbehandlung ist zudem nur zulässig, wenn der Patient zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist (§ 17a Abs. 2 Nr. 1 MRVG). Die Frage, ob diese Voraussetzung vorliegt, hängt wesentlich von der psychischen Befindlichkeit des Betroffenen ab, welche durch schriftliche Aufzeichnungen der behandelnden Personen einem fachkundigen Dritten zwar grundsätzlich vermittelt werden kann. Aber auch gerade hier können die vorstehend beschriebenen Umstände, die eine Gefahr für die sachgemäße Behandlung darstellen (Überforderungen, Zeitmangel) die dem externen Sachverständigen zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen zum Nachteil des Betroffenen beeinflusst haben, sodass von einer eigenen Prüfung durch den Sachverständigen grundsätzlich nicht abgesehen werden kann, wenn dessen Einschätzung Voraussetzung für die Zulässigkeit der Maßnahme sein soll.

Landgericht Kleve, 182 StVK 3/20
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.