Keine Aufklärungspflicht über strafprozessuale Risiken bei Schiedsvergleich

BGH zur Reichweite der Verhandlungsfairness: Mit Beschluss vom 23. Januar 2025 (Az. I ZB 41/24) hat der eine für das deutsche Schiedsverfahrensrecht grundlegende Entscheidung gefällt. Im Zentrum stand die Frage, ob eine Partei im Rahmen eines Schiedsvergleichs darüber aufklären muss, dass sie kurz zuvor gegen die Gegenseite erstattet hat. Die Entscheidung ist bemerkenswert, weil sie das Spannungsverhältnis zwischen vertraglicher Loyalitätspflicht, strafprozessualen Interessen und rechtsstaatlicher Verfahrensordnung schlüssig auflöst – und klare Grenzen zieht: Eine Partei ist nicht verpflichtet, über ihre strafprozessualen Schritte aufzuklären, wenn diese den Vergleichsgegenstand nicht unmittelbar betreffen.

Der Hintergrund des Verfahrens

Ein Saatgutlizenzvertrag mit Buchführungs- und Prüfungspflichten bildete die Grundlage eines Streits zwischen einer Sortenschutzinhabervereinigung und einer , die als Vertriebspartnerin tätig war. Die Antragstellerin warf der Antragsgegnerin vor, ihre vertraglichen Pflichten zur Dokumentation verletzt zu haben, und beantragte im Einsicht in deren Buchhaltung sowie eine . Nach intensiven Verhandlungen einigten sich die Parteien auf einen Vergleich, der sodann in einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut überführt wurde.

Was die Antragsgegnerin nicht wusste: Die Antragstellerin hatte – wenige Tage vor der Verhandlung – Strafanzeige gegen deren gestellt. Als sie nach Erlass des Schiedsspruchs hiervon erfuhr, focht sie den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an und verweigerte die Einsichtsgewährung unter Berufung auf den nemo-tenetur-Grundsatz. Der BGH ließ diesen Einwand nicht gelten.

Die Begründung des Bundesgerichtshofs

Kern der Entscheidung ist die dogmatische Ablehnung einer allgemeinen Aufklärungspflicht über etwaige Strafanzeigen im Rahmen von Vertragsverhandlungen. Der Senat betont, dass jede Partei grundsätzlich für ihre rechtsgeschäftlichen Entscheidungen selbst verantwortlich ist. Eine Offenbarungspflicht kann nur dort bestehen, wo Informationen verheimlicht werden, die für den Vertragszweck des Gegenübers evident von wesentlicher Bedeutung sind und deren Kenntnis die Gegenseite redlicherweise erwarten durfte.

Dies sei bei einer bereits erstatteten Strafanzeige nicht der Fall – jedenfalls dann nicht, wenn die Anzeige in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem konkreten Vergleichsinhalt steht. Im konkreten Fall ging es bei der strafrechtlichen Anzeige um die Verletzung von Sortenschutzrechten – ein Problemfeld, das durch die Buchprüfung gegebenenfalls nur mittelbar betroffen war. Zudem sei angesichts der jahrelangen Streitigkeiten und der mehrfachen Verweigerung der Auskunft die Möglichkeit einer Strafanzeige keineswegs überraschend oder treuwidrig gewesen.

Der BGH unterstreicht, dass der Vergleichsschluss primär der Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten dient und keine umfassende Befriedung auch im strafrechtlichen Sinne impliziert. Dies gelte umso mehr, als die Antragstellerin berechtigt war, die durch Vertrag eingeräumten Rechte auch unabhängig von etwaigen strafrechtlichen Maßnahmen geltend zu machen.

Darüber hinaus verneint der Senat einen Verstoß gegen den ordre public oder den nemo-tenetur-Grundsatz. Die Auskunftspflicht sei keine staatliche Zwangsmaßnahme im Sinne repressiver Eingriffe, sondern Teil eines vertraglich begründeten Rechtsverhältnisses. Selbst wenn Erkenntnisse aus der Prüfung später von Strafverfolgungsbehörden genutzt würden, sei dies mit einem strafprozessualen Verwertungsverbot zugunsten der betroffenen Person verfassungsrechtlich hinreichend abgefedert.

Fazit

Die Kernaussage des Beschlusses lautet: Vertragsverhandlungen im Kontext schiedsgerichtlicher Verfahren unterliegen keiner umfassenden Offenbarungspflicht hinsichtlich parallel laufender strafrechtlicher Initiativen. Wer einem Vergleich zustimmt, ohne sich über denkbare Hintergründe und Motive der Gegenseite zu informieren, handelt auf eigenes Risiko – es sei denn, es bestehen klare Anhaltspunkte für eine gezielte Täuschung über vertragserhebliche Umstände. Der BGH wahrt mit dieser Entscheidung die Autonomie der Vertragsparteien und schützt zugleich die Integrität der Schiedsgerichtsbarkeit vor überzogenen Anfechtungsversuchen. Ein Urteil mit hoher Bedeutung für die Praxis wirtschaftsnaher Streitbeilegung.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
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