Kameraüberwachung in Gerichtsgebäuden gefährdet die Gerichtsöffentlichkeit (Update)

Ein bemerkenswerter Beschluss des VG Wiesbaden (6 K 1063/09) wird gerade bekannt: In einem Gerichtsgebäude (in dem mehrere Gerichte zusammengefasst sind) war eine vorhanden. Der Kläger sah nun nicht nur sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefährdet, sondern auch die , da eine solche umfassende Überwachung Menschen davon abhält, öffentliche Gerichtsverhandlungen zu besuchen.

Das VG Wiesbaden hat sich dieser Argumentation angeschlossen, dabei insbesondere (und elegant) eine Gefahrenlage verneint, die durch die Zusammenlegung der verschiedenen Gerichte in einem Gebäude angenommenw erden könnte:

Dass durch die Zusammenlegung der Gerichte in einem Gebäude eine permanente Gefahr für das Gebäude als solches besteht, dürfte ernstlich nicht in Erwägung zu ziehen sein, da ansonsten zur Gefährdungsminimierung eine Zusammenführung der Gerichte und Staatsanwaltschaft in einem Gebäude nicht hätte erfolgen dürfen. Sie wäre darüber hinaus ein unzulässiger Eingriff der Justizverwaltung in die Verfahren.

Die Tatsache, dass die Kameras nicht immer eingeschaltet sind, hat das Gericht richtigerweise ignoriert: Wie schon mehrfach von mir ausgeführt, spielt es keine Rolle, ob eine Kamera eingeschaltet oder gar nur eine Attrappe ist, sofern der Betroffene diese für echt/aktiviert halten kann:

Selbst wenn zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Videokameras ausgeschaltet sein sollten, müsste dies nach Außen hin kenntlich gemacht werden. Andernfalls ist davon auszugehen, dass die Gerichtsöffentlichkeit überwacht wird und damit die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht mehr gegeben ist.

Beeindruckend ist, dass das Gericht auch zum Argument des Nichtstörers aktiv Stellung bezieht, ein Punkt, der gerne außen vor gelassen wird beim Thema:

Hinzu kommt, dass die Gerichtsöffentlichkeit kein Störer im Sinne des Polizeirechts ist, weshalb sie bei dem Betreten des Gebäudes als Nichtstörer zu betrachten sind. Ein Nichtstörer darf zwar auf seine Person beim Betreten des Gebäudes kontrolliert werden, dies kann jedoch nicht dazu führen, dass bei einem Verfahren ohne Gefährdungslage eine derart intensive Kontrolle durchgeführt wird, wie sie in Hochsicherheitstrakten bzw. bei Flughäfen der Fall ist.

Sofern man sich auf eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage des hessischen Landesdatenschutzgesetzes berufen wollte (Nutzung des Hausrechtes – existiert so auch in NRW), verweist das Verwaltungsgericht einmal darauf, dass hier schon fraglich ist, wer sich hier auf das Hausrecht berufen wollte. Weiterhin gingen die Verfahrensvorschriften jeglichem Hausrecht vor, somit auch der – hier gefährdete – Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit.

Doch das Verwaltungsgericht war konsequent: An diesem Punkt der Ausführungen wurde erkannt, dass auch die eigene Verhandlung betroffen war und man sich bei Fortführung der Verhandlung einem absoluten Revisionsgrund ausgesetzt sah (!). Aus diesem Grund wurde an diesem Punkt die Verhandlung ausgesetzt, bis ein Raum zur Verfügung steht, in dem weiter verhandelt werden könne, ohne dass die Gerichtsöffentlichkeit gefährdet ist. Dies ist weiterhin der aktuelle Stand der Dinge.

Update: Ich habe beim Verwaltungsgericht Wiesbaden zum aktuellen Stand nachgefragt: Das Verfahren ist bis heute ausgesetzt (23.4.2010), wann es fortgesetzt wird, ist noch offen.


Der Beschluss bedeutet zweierlei: Einmal stellt sich in entsprechenden Gebäuden bei öffentlicher Verhandlung (wobei die jeweiligen Landesrechtlichen Datenschutzgesetze genau geprüft werden müssen!) die gleiche Frage mit der Möglichkeit eines Revisionsgrundes.
Zum zweiten ist, wieder einmal, festzustellen, dass die Videoüberwachung durch die öffentliche Hand viel zu unreflektiert erfolgt. Erst kürzlich wurde berichtet, dass 99% der Videoüberwachung in Niedersachsen rechtswidrig erfolgt. Das passt sehr gut zu meinen Erfahrungen: Speziell Städte und Gemeinden gehen mit der rechtlichen Frage viel zu lax um und investieren teilweise horrende Summen in rechtlich fragwürdige Überwachungsmaßnahmen. Dabei ist die rechtliche Grundlage nicht zuletzt auch bedeutend für die Frage der Beweisverwertung des gewonnen Materials. Es kann an dieser Stelle nur noch einmal dringend angemahnt werden, sich als Betroffener Schutz bei den Landesdatenschutzbeauftragten zu suchen und als öffentliche Hand die Rechtsfrage ordentlich zu prüfen. Mir ist dabei bisher ein breites Spektrum begegnet: Teilweise wurde über rechtliche Grundlagen gar nicht nachgedacht, teilweise war man sich der Problematik zwar bewusst, hat aber z.B. das Hausrecht über Gebühr ausgedehnt.

Letztlich sollte jede aufgestellte Kamera – sei es durch die öffentliche Hand, Privatpersonen oder Unternehmen – einer rechtlichen Prüfung durch den Aufsteller selbst unterzogen werden. Speziell Unternehmen und Privatpersonen sollten dabei vor Augen haben, dass eine rechtswidrige Kamera mitunter Persönlichkeitsrechte verletzt und von Betroffenen abgemahnt werden kann. Diese empfindlichen Kosten kann man sich, speziell als Unternehmen, gewinnbringend mit einer soliden rechtlichen Analyse ersparen.

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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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