Hemmung der Verjährung nach unzulässiger Vollstreckung

Mit Beschluss vom 19. Februar 2025 (Az. XII ZB 377/24) hat der eine praxisrelevante Entscheidung zur Frage getroffen, wann eine bereits in Gang gesetzte durch eine spätere Vollstreckungshandlung erneut unterbrochen wird – insbesondere dann, wenn sich diese Handlung später als unzulässig erweist.

Im Zentrum steht ein typischer Konflikt des Unterhaltsvollstreckungsrechts: Wie ist zu verfahren, wenn ein zunächst als vollstreckungsfähig betrachteter Titel im Nachhinein wegen inhaltlicher Unbestimmtheit für unzulässig erklärt wird? Der BGH beantwortet diese Frage differenziert – mit hoher Relevanz für die gerichtliche Praxis und für öffentliche Gläubiger wie etwa Jobcenter.

Der Ausgangsfall: Ein Titel, der keiner ist

Dem Verfahren lag ein Unterhaltstitel gegen einen Vater zugrunde, der Kindesunterhalt an ein Jobcenter zahlen sollte, nachdem dieses für seine Kinder existenzsichernde Leistungen erbracht hatte. Das aus dem Jahr 2008 war Grundlage mehrerer Vollstreckungsmaßnahmen, unter anderem eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses aus dem Jahr 2019. Erst 2021 erklärte das die Zwangsvollstreckung aus dem ursprünglichen Urteil für unzulässig – nicht etwa, weil kein Anspruch bestanden hätte, sondern weil die Tenorierung des Urteils nicht hinreichend bestimmt gewesen sei. Zwischenzeitlich hatte das Jobcenter allerdings neue Maßnahmen zur Rechtsverfolgung ergriffen. Der Schuldner – der Vater – berief sich nun auf Verjährung. Der Bundesgerichtshof sah das anders.

Die verjährungsrechtliche Würdigung

Zentral für die Entscheidung war die Auslegung des § 212 Abs. 2 BGB. Danach gilt ein Neubeginn der Verjährung durch eine Vollstreckungshandlung als nicht eingetreten, wenn diese wegen Mangels gesetzlicher Voraussetzungen aufgehoben wird. Nach Ansicht des BGH ist dieser Fall zwar grundsätzlich gegeben, wenn ein Titel nachträglich als nicht vollstreckbar erklärt wird. Doch dies führt nicht zwingend zur rückwirkenden Unwirksamkeit aller daraus erfolgten Verjährungsunterbrechungen – sofern der Gläubiger innerhalb von sechs Monaten nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung erneut Maßnahmen zur Rechtsverfolgung ergreift.

Diese sogenannte „Sechsmonatsregel“ leitet der BGH in analoger Anwendung aus § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB her. Entscheidend sei, dass der Gläubiger – hier das Jobcenter – in gutem Glauben auf die Vollstreckbarkeit des Titels vertraut und innerhalb der genannten Frist nach der negativen Entscheidung erneut aktiv geworden sei. Dieses Vorgehen sichere die berechtigten Interessen des Gläubigers und verhindere eine unbillige Verkürzung seines materiellen Anspruchs allein aufgrund formaler Titelmängel. Der Titel war – zum Zeitpunkt der Vollstreckung – existent, und sein Mangel wurde erst später festgestellt. Daraus folgt, so der BGH, dass der Gläubiger nicht schutzlos gestellt werden darf, sondern eine realistische Chance behalten muss, seine Forderung durchzusetzen.

Systematische Einordnung und rechtspolitische Bedeutung

Die Entscheidung betont die Gleichgewichtslage zwischen Gläubigerschutz und Rechtssicherheit im Zivilvollstreckungsrecht. Der BGH bewegt sich dabei auf einer Linie mit seiner früheren Rechtsprechung zum alten § 216 BGB a.F. und überträgt diese – gestützt auf gesetzgeberische Materialien – in das moderne Verjährungsrecht. Die gerichtliche Argumentation ist dabei nicht nur juristisch präzise, sondern auch praktikabel: Ein Gläubiger soll durch einen formellen Mangel des Titels nicht unverhältnismäßig benachteiligt werden, solange er innerhalb kurzer Frist aktiv bleibt. Gleichzeitig werden Schuldner nicht in ihrer Verteidigungsposition beeinträchtigt, da ihnen durch eine rechtlich nachvollziehbare Befristung klare Erwartungshorizonte eröffnet werden.

Besonders praxisrelevant ist die Entscheidung für staatliche Leistungsträger, die regelmäßig im Rahmen übergegangener Unterhaltsansprüche vollstrecken und dabei auf Serien- und Musterentscheidungen angewiesen sind. Der BGH ermöglicht es ihnen, auf spätere gerichtliche Klarstellungen angemessen zu reagieren, ohne sofort mit dem Vorwurf verspäteter Rechtsverfolgung konfrontiert zu sein.

Fazit

Die Essenz dieser Entscheidung lautet: Der BGH schützt das legitime Vertrauen des Gläubigers in die Bestandskraft eines – zunächst scheinbar vollstreckbaren – Titels. Wird eine Vollstreckung nachträglich für unzulässig erklärt, bleibt die zuvor ausgelöste Verjährungshemmung oder – wirksam, wenn innerhalb von sechs Monaten erneut Maßnahmen zur Rechtsverfolgung eingeleitet werden. Der Beschluss ist damit nicht nur Ausdruck sorgfältiger Normauslegung, sondern auch ein starkes Plädoyer für funktionalen Rechtsschutz in der zivilgerichtlichen Vollstreckungspraxis.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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