Mit Beschluss vom 26. Februar 2025 (Az. 4 StR 526/24) hat der Bundesgerichtshof eine bemerkenswerte Klarstellung zur strafrechtlichen Einordnung relativer Fahruntüchtigkeit getroffen. Der Fall – geprägt durch eine tödliche Verkehrskollision, Alkohol und den Verdacht auf Drogenkonsum – stellt eindrücklich unter Beweis, dass das Strafrecht bei der Bewertung von Rauschmittelbeeinflussung differenzierte Maßstäbe verlangt. Im Zentrum der revisionsgerichtlichen Beanstandung stand nicht die moralische Bewertung des Geschehens, sondern die Frage, ob das Tatgericht in Münster seine Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit rechtsfehlerfrei getroffen hatte.
Hintergrund und rechtlicher Kontext
Dem Verfahren lag ein tragischer Vorfall zugrunde: Der Angeklagte, alkoholisiert und möglicherweise unter dem Einfluss von THC, fuhr nachts mit erhöhter Geschwindigkeit durch eine kurvige Landstraße. Dabei kam es zur tödlichen Kollision mit einem Fußgänger. Das Landgericht ging davon aus, dass die Geschwindigkeit – deutlich über dem Tempolimit – alkoholbedingt war und bewertete dies als Ausdruck relativer Fahruntüchtigkeit. Auf dieser Grundlage verurteilte es den Angeklagten unter anderem wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr sowie fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung.
Doch der BGH widersprach: Die Beweiswürdigung des Tatgerichts habe zentrale Differenzierungen vermissen lassen. Das bloße Vorliegen eines Fahrfehlers – selbst wenn alkoholbedingt – belege nicht automatisch die Unfähigkeit zur sicheren Fahrzeugführung im Sinne der Strafnormen. Es sei vielmehr erforderlich, dass die alkoholische Beeinträchtigung so gravierend gewesen sei, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrers in einer für das Tatbild erheblichen Weise herabgesetzt gewesen sei. Und genau diese Schlüssigkeit habe im Urteil gefehlt.
Kritische Analyse der revisionsgerichtlichen Würdigung
Der BGH machte deutlich, dass die relative Fahruntüchtigkeit kein Automatismus sei, sondern eine beweisbedürftige Feststellung. Allein aus einer Geschwindigkeitsüberschreitung – selbst bei Dunkelheit und Streckenunkenntnis – dürfe nicht auf eine relevante Alkoholbeeinträchtigung geschlossen werden, wenn alternative Erklärungen nicht ernsthaft erwogen wurden. Auch könne ein leicht erhöhter Promillewert – hier lag der Wert bei 0,72 bis maximal 1,35 ‰ – nicht ohne weiteres als ausreichend gelten, solange keine ergänzenden Beweisanzeichen vorliegen, etwa Ausfallerscheinungen, Koordinationsstörungen oder Aussetzer im Fahrverhalten.
Besonders kritisch beurteilte der Senat, dass das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob der Angeklagte auch nüchtern zu riskantem Fahrverhalten neigte oder ob verkehrsrelevante Umstände – wie etwa eine schlecht sichtbare Beschilderung – die Ursache gewesen sein könnten. Auch dass bei späterem Kontakt mit der Polizei keine alkoholtypischen Auffälligkeiten registriert wurden, blieb in der gerichtlichen Gesamtwürdigung unberücksichtigt.
Diese Versäumnisse waren nach Auffassung des Senats so gravierend, dass sie den gesamten Schuldspruch in Frage stellten. Insbesondere, da die Feststellung der Fahruntüchtigkeit zentral für mehrere Deliktsqualifikationen war. Das Urteil wurde daher teilweise aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen.
Bedeutung für Praxis und Dogmatik
Der Beschluss des BGH ist ein klares Signal an die Strafgerichte, bei der Anwendung der einschlägigen Straftatbestände im Straßenverkehr nicht vorschnell von einer Fahruntüchtigkeit auszugehen. Es genügt nicht, eine bloße Alkoholisierung oder einen Fahrfehler festzustellen. Die Gerichte müssen vielmehr eine umfassende, sorgfältige und differenzierte Beweiswürdigung vornehmen, die mögliche Alternativen einbezieht und konkrete Ausfallerscheinungen darlegt. Gerade im Grenzbereich zwischen erlaubter Restalkoholisierung und strafrechtlich relevanter Fahrunsicherheit liegt die Beweisanforderung hoch – zu Recht, denn es geht um die strafrechtliche Sanktionierung eines mitunter lebensentscheidenden Augenblicks.
Zudem wird durch diese Entscheidung ein oftmals übersehener Punkt betont: Auch die Kombination mehrerer Rauschmittel – etwa Alkohol und Cannabis – muss einer rechtlich präzisen Einordnung unterzogen werden. Nicht jede Kombination begründet per se eine Fahruntüchtigkeit. Entscheidend bleibt die tatsächliche Wirkung auf das Fahrverhalten, nicht die abstrakte Gefährdung.
Schlussfolgerung
Die Kernaussage dieser Entscheidung lässt sich prägnant zusammenfassen: Fahrfehler und Alkoholkonsum begründen noch keine Fahruntüchtigkeit. Der Bundesgerichtshof pocht auf eine sorgfältige Tatsachenaufklärung und differenzierte rechtliche Subsumtion – gerade bei Delikten mit hohen Strafandrohungen und gesellschaftspolitischer Sensibilität. Für die gerichtliche Praxis ist diese Entscheidung ein mahnender Hinweis: Wer Unschärfen in der Beweiswürdigung zulässt, riskiert nicht nur das Urteil, sondern unterläuft zugleich den rechtsstaatlichen Anspruch auf differenzierte Schuldzumessung.
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