Eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin (Az. 10 W 38/24) setzt sich mit den Anforderungen an Gegendarstellungen nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Medienstaatsvertrag (MStV) auseinander. Die Frage, wie eine Gegendarstellung gestaltet sein muss, um der ursprünglichen Tatsachenbehauptung gleichwertig zu begegnen, ist für die Meinungs- und Medienfreiheit von erheblicher Bedeutung. Der Fall berührt zentrale rechtliche und praktische Aspekte des Presserechts und der Medienregulierung.
Sachverhalt
Die Schuldnerin hatte in einem Online-Video Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die von der Gläubigerin als unzutreffend angegriffen wurden. Per einstweiliger Verfügung wurde die Schuldnerin verpflichtet, eine Gegendarstellung in „gleicher Aufmachung“ wie die ursprüngliche Behauptung zu veröffentlichen. Die Schuldnerin ersetzte daraufhin die strittigen Aussagen durch Musik und blendete den Text der Gegendarstellung ein, was die Gläubigerin jedoch nicht als ausreichend ansah. Das Landgericht und später das Kammergericht wiesen die Einwendungen der Schuldnerin zurück.
Rechtliche Würdigung
1. Anforderungen an die „gleiche Aufmachung“
§ 20 Abs. 1 Satz 2 MStV verlangt, dass eine Gegendarstellung dieselbe Aufmerksamkeit erzeugen kann wie die ursprüngliche Tatsachenbehauptung. Die Entscheidung des KG Berlin betont, dass eine rein textliche Darstellung einer gesprochenen Behauptung nicht genügt. Der Begriff der „gleichen Aufmachung“ wird hier als gestaltungsidentisch interpretiert, insbesondere im Hinblick auf Medium und Format. Ein gesprochener Text im Video müsse durch eine ebenfalls gesprochene Gegendarstellung ersetzt werden, um Waffengleichheit zu gewährleisten. Diese Auslegung schützt den Gläubiger vor der Herabstufung der Gegendarstellung auf ein weniger wirkungsvolles Format.
2. Publizität und Waffengleichheit
Das Gericht legt dar, dass die Gegendarstellung denselben Interessentenkreis erreichen muss wie die Erstmitteilung. Eine reine Text-Einblendung ist diesem Anspruch nicht gewachsen, da sie weniger Aufmerksamkeit generiert als eine audiovisuelle Darstellung. Diese Interpretation spiegelt die verfassungsrechtliche Bedeutung der Gegendarstellung als Instrument der Meinungsbildung wider.
3. Anforderungen an die Verknüpfung
Ein weiteres Kernproblem war die Frage, ob die Gegendarstellung unmittelbar mit der ursprünglichen Tatsachenbehauptung verknüpft sein muss. Das Gericht entschied, dass die Gegendarstellung auch dann veröffentlicht werden muss, wenn die ursprüngliche Behauptung entfernt wurde. Es genüge nicht, die Gegendarstellung isoliert zu veröffentlichen. Vielmehr müsse sie so verknüpft werden, dass sie diejenigen Personen erreicht, die bereits von der Erstmitteilung Kenntnis genommen haben.
4. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung
Das Gericht bestätigte, dass die Schuldnerin ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hat und ordnete Zwangsmittel nach § 888 ZPO an. Dabei stellte es klar, dass es auf ein Verschulden nicht ankommt. Dies unterstreicht die strikte Verpflichtung zur Einhaltung der Vorgaben für Gegendarstellungen.
Die Entscheidung des KG Berlin hat wegweisenden Charakter für die Auslegung von § 20 MStV. Sie stärkt die Position von Personen und Institutionen, die Gegendarstellungen verlangen, und stellt sicher, dass diese nicht durch formale oder gestalterische Tricks an Wirkung verlieren. Gleichzeitig werden Medienunternehmen angehalten, ihre Veröffentlichungen sorgfältig zu planen, um kostspielige Verfahren zu vermeiden.
Fazit
Das Kammergericht Berlin hat mit seiner präzisen Auslegung des Begriffs der „gleichen Aufmachung“ klare Maßstäbe für die Gestaltung von Gegendarstellungen gesetzt. Es betont die Bedeutung der Waffengleichheit und sorgt für einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Medien und den Rechten der betroffenen Personen. Die Entscheidung stärkt das Vertrauen in den rechtlichen Schutz vor missbräuchlichen oder einseitigen medialen Darstellungen und unterstreicht die Bedeutung der Gegendarstellung als unverzichtbares Instrument im modernen Presserecht.