Geheimhaltung im Gerichtsverfahren: Kein Verzicht auf die Geheimhaltung bei Einreichung von Unterlagen

Die Frage der Vertraulichkeit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen spielt in zahlreichen Gerichtsverfahren eine entscheidende Rolle. Besonders in Streitigkeiten mit wirtschaftlichem Hintergrund stehen sich oft zwei Interessen unversöhnlich gegenüber: das berechtigte Interesse eines Unternehmens an der Wahrung sensibler Daten und das Bedürfnis der gegnerischen Partei, sich umfassend auf ein Verfahren vorzubereiten.

Das Oberlandesgericht Dresden (Beschluss vom 9. Januar 2025, Az. 4 W 766/24)hat nun klargestellt, dass die bloße Einreichung von Unterlagen über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nicht als Verzicht auf deren Geheimhaltung gewertet werden kann. Diese Entscheidung bestätigt die Notwendigkeit gerichtlicher Schutzmaßnahmen für vertrauliche Informationen und betont, dass ein transparenter Zugang zu Verfahrensdokumenten nicht automatisch das Recht auf uneingeschränkte Nutzung dieser Dokumente bedeutet.

Hintergrund des Falls

Der Kläger, ein privat krankenversicherter Verbraucher, hatte gegen seine Versicherungsgesellschaft geklagt, um die Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen feststellen zu lassen. Im Rahmen des Verfahrens hatte die Beklagte sogenannte Treuhänderunterlagen eingereicht, die als Grundlage für die Beitragsanpassungen dienten. Diese Unterlagen wurden zunächst auf externen Datenträgern übermittelt und später auf gerichtliche Anweisung hin über das beA in elektronischer Form nachgereicht.

Das Landgericht Leipzig ordnete daraufhin an, dass der Kläger und seine Rechtsanwältin die im Verfahren offen gelegten Informationen geheim halten müssen. Der Kläger argumentierte in seiner Beschwerde gegen diese Anordnung, dass die Beklagte durch die Übermittlung der Dokumente über das beA auf deren Geheimhaltung verzichtet habe. Diese Sichtweise wies das OLG Dresden jedoch zurück und bestätigte die Geheimhaltungsanordnung des Landgerichts.

Rechtliche Analyse

1. Geheimhaltungsinteresse vs. Informationszugang

Das Gericht stellte klar, dass die Einreichung von Dokumenten über das beA keine konkludente Erklärung darstellt, dass der Schutz sensibler Daten aufgegeben wird. Das beA dient als Kommunikationskanal zwischen Anwälten und Gerichten und hat keinen Einfluss auf die inhaltliche Bewertung der darin übermittelten Informationen. Das Gericht betonte, dass die Beklagte nur einer gerichtlichen Anweisung gefolgt sei und sich die Vertraulichkeit der Dokumente dadurch nicht automatisch erledige.

Das Urteil verweist auf Art. 9 Abs. 2 der EU- 2016/943 zum Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, die den Schutz von Geschäftsgeheimnissen auch in Gerichtsverfahren sicherstellt. Die Geheimhaltung kann somit nicht durch rein formale Vorgänge aufgehoben werden.

2. Bedeutung der Geheimhaltungsanordnung

Eine zentrale Frage war, ob das Landgericht berechtigt war, eine Geheimhaltungsverpflichtung für den Kläger und seine Anwältin anzuordnen. Das OLG Dresden bejahte dies mit Verweis auf § 174 Abs. 3 GVG. Diese Vorschrift ermöglicht es Gerichten, Parteien und deren Vertreter zur Verschwiegenheit über bestimmte Prozessinhalte zu verpflichten.

Das Gericht stellte zudem klar, dass die Geheimhaltungsanordnung nicht auf alle Verfahrensbeteiligten ausgedehnt werden muss. Die Beklagte konnte ihre eigenen Rechtsanwälte in die Vertraulichkeitsvereinbarung einbinden, ohne dass dies von der gerichtlichen Anordnung erfasst werden musste. Dies bestätigte die bereits etablierte Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 29. Juni 2020 – 12 W 5/20), wonach sich die gerichtliche Anordnung nur auf die direkten Empfänger der Informationen erstreckt.

3. Schutz von Geschäftsgeheimnissen in elektronischen Verfahren

Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Schutz vertraulicher Informationen auch im digitalen Zeitalter oberste Priorität hat. Das Gericht wies darauf hin, dass die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel wie beA keine neue Rechtslage schafft. Bereits früher hatte der Senat entschieden, dass eine Einreichung in digitalisierter Form auf externen Datenträgern nicht bedeutet, dass die Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Partei entfallen.

Besonders hervorzuheben ist, dass sich das Gericht mit der technischen Dimension der Geheimhaltung befasste. Es stellte fest, dass die Übermittlung sensibler Dokumente in die elektronische Gerichtsakte zwar grundsätzlich zulässig ist, aber Risiken birgt. Die Speicherung auf physischen Datenträgern kann in bestimmten Fällen erforderlich sein, um eine ungewollte Offenlegung zu verhindern.

4. Keine unangemessene Benachteiligung des Klägers

Der Kläger argumentierte, dass die Geheimhaltungsanordnung ihn in seinen Verfahrensrechten unangemessen benachteilige, da er sich nicht mehr frei auf seine Verteidigung vorbereiten könne. Das OLG Dresden widersprach dieser Auffassung. Die Geheimhaltungsverpflichtung diene gerade dazu, dass der Kläger und seine Anwältin die Unterlagen zur Kenntnis nehmen und darauf reagieren können, ohne dass sie die Informationen außerhalb des Prozesses verwenden.

Das Gericht stellte zudem klar, dass der Geheimnisschutz nicht auf einzelne Worte oder Zahlen innerhalb der Dokumente beschränkt werden kann. Die Unterlagen seien in ihrer Gesamtheit als vertraulich zu betrachten, da sie strategisch relevante Informationen enthielten.

Auswirkungen der Entscheidung

Das Urteil des OLG Dresden stärkt den Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess und schafft Rechtssicherheit für Unternehmen, die sensible Dokumente in Verfahren einreichen müssen.

Für Unternehmen bedeutet die Entscheidung eine Absicherung, dass der Schutz von vertraulichen Informationen auch im Rahmen elektronischer Kommunikation gewahrt bleibt. Sie können sich darauf verlassen, dass die Einreichung von Unterlagen über beA nicht als Verzicht auf deren Geheimhaltung gewertet wird.

Für Prozessbeteiligte auf der Gegenseite, insbesondere Kläger in Streitigkeiten mit großen Unternehmen, kann dies jedoch eine erhebliche Hürde darstellen. Die Möglichkeit, Informationen aus Gerichtsverfahren frei zu nutzen, wird durch solche Anordnungen deutlich eingeschränkt. Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte zunehmend bereit sind, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen konsequent durchzusetzen.

Auch für die digitale Justiz hat das Urteil Bedeutung. Es betont, dass elektronische Kommunikationswege wie beA keine neuen Rechtsfragen zur Geheimhaltung aufwerfen, sondern lediglich bestehende Prinzipien auf neue technische Umgebungen anwenden.

Fazit

Das OLG Dresden hat mit seinem Beschluss klargestellt, dass die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs keine Auswirkungen auf die Geheimhaltung von Prozessdokumenten hat. Die Entscheidung bestätigt die bestehende Rechtsprechung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und stellt sicher, dass Unternehmen auch im digitalen Zeitalter auf Vertraulichkeit vertrauen können.

Gleichzeitig verdeutlicht das Urteil die Grenzen der Informationsfreiheit für Prozessbeteiligte. Der Anspruch auf ein faires Verfahren muss mit dem Schutz wirtschaftlich sensibler Informationen in Einklang gebracht werden – eine Herausforderung, die in der digitalen Justiz zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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